Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
fünf Uhr, gerade als Jones von Glocester Abschied nahm. Eine Stunde (es war spät im Dezember), in welcher die Nacht mit ihrem schmutzigen Finger die schwarzen Vorhänge über den Weltball gezogen haben würde, hätte es ihr nicht der Mond verwehrt, der jetzt, mit einem Antlitz so rund und glänzend als das Antlitz der unbesorgtesten Sterblichen, die, wie er, aus Nacht Tag machen, sich aus seinem Bette erhob, woselbst er den Tag verdrönset hatte, um die ganze Nacht aufzusitzen. Jones hatte noch keinen weiten Weg zurückgelegt, als er nach Sitte aller empfindsamen Verliebten diesem sanften Fürsten der Sterne seine Kour machte, und, indem er sich gegen seinen Gefährten wandte, den fragte: ob er jemals einen so wonniglichen Abend gesehen hätte? Rebhuhn war nicht gar zu bereit, auf diese Frage eine Antwort zu erteilen, deshalben fuhr er fort, sich ein längeres und breiteres über die Schönheit des Mondes vernehmen zu lassen, und führte einige Stellen aus dem Milton an, welcher, ohne Widerspruch, in seinen Beschreibungen der himmlischen Lichter alle übrigen Dichter weit hinter sich zurückgelassen hat. Hierauf erzählte er dem Rebhuhn die Geschichte zweier Liebenden, aus dem Zuschauer, welche die Abrede genommen hatten, sich, wenn sie weit von einander getrennt sein würden, zu gewissen Stunden [95] damit zu unterhalten, daß sie zugleich mit einander in den Mond sähen und sich an dem Gedanken vergnügten, daß sie sich beide zu einerlei Zeit damit beschäftigten, einerlei Gegenstand zu betrachten, und an einander zu gleicher Zeit zu denken. »Diese Liebenden,« setzte er hinzu, »müssen Seelen gehabt haben, welche fähig waren, die Zärtlichkeit und Süßigkeit der erhabensten unter allen menschlichen Leidenschaften zu fühlen.« – »Mag wohl sein,« rief Rebhuhn; »aber ich beneide sie am meisten, wenn sie Körper hatten, die unfähig waren, die Kälte zu fühlen. – Denn ich bin beinahe totgefroren und bin sehr besorgt, ich werde noch ein Stück von meiner Nase verlieren, ehe wir noch ein andres Wirtshaus erreichen. Ja, in Wahrheit, wir dürfen's wohl erwarten, daß wir dafür gestraft werden, daß wir so bei Nachtzeit thöricht genug gewesen sind, von einem Wirtshause fortzulaufen, das noch eins der vortrefflichsten gewesen ist, worein ich jemals meinen Fuß gesetzt habe; denn das bin ich sicher, daß ich in meinem Leben keine vortrefflichern Dinge für den Schnabel angetroffen habe, und der größeste Herr im ganzen Lande kann in seinem eignen Hause nicht besser leben, als in dem Gasthofe zur Glocke in Glocester. Und einem solchen Hause Valet zu sagen und im Lande herumzuwanken, Gott weiß wohin?
Per devia rura viarum!
– Ich sage kein Wort für mein Teil; aber gewisse Leute möchten nicht Liebe des Nächsten genug haben, zu glauben, daß wir alle unsre Sinne beisammen hätten.« – »Pfui dich an, Herr Rebhuhn,« sagte Jones, »seien Sie doch nicht so kleinmütig; bedenken Sie doch, daß Sie einem Feinde unters Angesicht gehen wollen, und wollen Sie sich denn fürchten vor ein wenig Kälte? Ich wünschte freilich, wir hätten einen Wegweiser, der uns raten könnte, welchen Weg wir einschlagen müssen.« – »Darf ich so kühn sein,« sagte Rebhuhn, »meine Meinung vorzubringen?
Interdum stultus opportuna loquitur.
«
»Nun, welchen von beiden, meinen Sie, sollen wir nehmen?« – »Sicherlich keinen von beiden,« antwortete Rebhuhn; »der einzige Weg, den wir mit Sicherheit finden können, ist kein andrer als der, den wir ge kommen sind. Ein guter herzhafter Schritt wird uns in einer Stunde wieder nach Glocester bringen. Wenn wir aber vorwärts gehen, so weiß der Gottseibeiuns, wenn wir an irgend einen Ort kommen werden; denn ich sehe auf zwanzig Meilen vor mir in die Ferne und nicht ein einziges Haus auf dem ganzen Wege.« – »Wir haben freilich,« sagte Jones, »einen vortrefflichen Prospekt vor uns, welcher durch den herrlichen Mondschein unendlich verschönert wird. Unterdessen will ich mich auf den Weg hier links halten, denn der scheint grade nach jenen Hügeln zu führen, die, wie man uns gesagt hat, nicht weit von Worcester liegen; und, [96] sehn Sie hier! wenn Sie mich lieber verlassen wollen, so können Sie das thun und wieder umkehren; für mein Teil aber, ich bin entschlossen weiterzugehen.«
»Es ist ungütig von Ihnen, Herr Jones,« sagte Rebhuhn, »mir einen solchen Vorsatz zuzutrauen! Was ich geraten habe, war ebensogut aus Liebe zu Ihnen, als für mich selbst; weil Sie aber
Weitere Kostenlose Bücher