Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
einbildete, ganz allein an einem so äußerst einsamen Orte wohnte, in einem Hause, dessen äußeres Ansehen für sie schon viel zu gut zu sein schien, das aber inwendig auf eine sehr reinliche und fast zierliche Art ausgeputzt war. Die Wahrheit zu sagen, war Jones selbst nicht wenig verwundert über das was er zu sehen bekam, denn außer der auffallenden Reinlichkeit des Zimmers war es noch mit einer Menge von Kabinettsstücken der Kunst und Naturseltenheiten ausgeschmückt, welche der Aufmerksamkeit eines Kunst- und Naturliebhabers nicht unwert waren.
Unterdessen daß Jones sich dabei aufhielt diese Raritäten zu bewundern, und Rebhuhn in seinem festen Glauben, daß er sich in dem Hause einer Hexe befände, am Feuer saß und zitterte, sagte das alte Weib: »Ich hoffe, die Herren werden es so eilig machen als sie können, denn ich erwarte meinen Herrn jeden Augenblick [103] und ich möchte für noch einmal so viel Geld als Sie mir gegeben haben, nicht, daß er die Herren hier fände.« – »Sie hat also einen Herrn?« rief Jones. »Wirklich, Sie muß mir verzeihn, meine liebe Frau, aber es hat mich gewundert, alle diese hübschen Sachen in Ihrem Hause wahrzunehmen.« – »Aber, lieber Herr,« sagte sie, »wenn nur der zwanzigste Teil von allen diesen Dingen mein gehörte, so wollt' ich eine Frau sein! Aber, lieber Herr, ich bitte, halten Sie sich nicht länger auf, denn ich seh' ihn schon alle Augenblick kommen.« – »Nun, er würde es Ihr doch sicherlich nicht übel nehmen,« sagte Jones, »daß Sie Ihrem Nächsten einen gemeinen Liebesdienst erwiesen hätte.« – »O Jemini! O Jemini! mein lieber Herr,« sagte sie, »es ist ein ganz sonderbarer Mann und ganz und gar nicht wie andre Leute. Er hält mit keiner Christenseele Umgang und geht sehr selten anders aus als bei nachtschlafender Zeit, denn er mag sich gar nicht gern sehen lassen, und die Leute hierherum auf'm Lande fürchten sich ebensosehr ihm zu begegnen, denn seine Kleidung ist allein schon genug den Leuten bange zu machen, welche nicht dran gewöhnt sind. Sie heißen ihn den Mann vom Berge (denn da wankt er des Nachts herum) und das Bauernvolk, glaub' ich, fürchtet sich nicht so arg vor dem Gottseibeiuns selbst. Er würde erschrecklich böse werden, wenn er Sie hier finden sollte.« – »O, ich bitte, Herr,« sagte Rebhuhn zum Jones, »lassen Sie uns dem Herrn keinen Aerger machen! Ich kann schon recht gut wieder gehen und bin in meinem Leben nicht wärmer gewesen als jetzt. Kommen Sie, ich bitte, lassen Sie uns gehn! Da hängen Pistolen überm Kamin. Der liebe Gott weiß, ob sie geladen sind oder nicht, oder wozu er sie da hängen hat.« – »Fürchte nichts, Rebhuhn!« sagte Jones, »ich will dich vor aller Gefahr beschützen.« – »Ach, was das anbetrifft, er thut gewiß keinem Menschen etwas zu leide!« sagte das alte Weib; »aber, lieber Gott! 's ist wohl nötig, daß er so was in Bereitschaft hält, um selbst sicher zu sein, denn sein Haus ist schon mehr als einmal umzingelt worden, und vor noch nicht vielen Nächten glaubten wir, daß wir Diebe drum herum schleichen hörten. Ich meinesteils habe mich oft verwundert, daß er nicht von diesem oder jenem Spitzbuben ermordet worden ist, wenn er so allein bei Nachtzeit herumgeht, aber wohl wahr, wie ich gesagt habe, den Leuten ist bange vor ihm, und dann mögen sie auch wohl denken, er habe nichts bei sich, das der Mühe wert wäre ihm abzunehmen.« – »Aus dieser Sammlung von Seltenheiten,« sagte Jones, »sollte ich schließen, Ihr Herr müßte viel gereist sein?« – »Ach ja, lieber Herr,« antwortete sie, »er hat viele und große Reisen gethan; es gibt wenige Herren, die von allen Dingen so viel zu erzählen wissen wie er. Ich glaube, es muß ihm einmal [104] in der Liebe unglücklich gegangen sein, oder ich weiß nicht was es sonst ist, aber ich bin nun schon über dreißig Jahre bei ihm im Hause und in all dieser Zeit hat er nicht mit über sechs lebendigen Menschen gesprochen.« Hierauf drang sie abermals auf ihre Abreise und Rebhuhn stand ihr dabei ehrlich bei. Jones aber zauderte ganz mit Fleiß, denn seine Neugierde war sehr rege geworden, diesen Sonderling von Mann zu sehen. Obgleich also das alte Weib eine jede von ihren Antworten mit der Bitte beschloß, er möchte doch weggehen, und Rebhuhn es so weit trieb, daß er ihn beim Aermel zupfte, so fuhr er doch immer fort, neue Fragen zu erfinden, bis endlich das alte Weib mit bestürztem Gesichte beteuerte, sie hörte das
Weitere Kostenlose Bücher