Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
großes Vergnügen zu machen. Ich habe Ihnen meine Neugierde bekannt, mein Herr,« sagte er; »brauche ich's also noch zu sagen, wie sehr Sie mich verbinden würden, wenn Sie solche zu befriedigen die Güte haben wollten? Wollen Sie mir also erlauben, zu bitten, daß Sie, wofern andere Rücksichten Sie nicht dran hindern, so gefällig sein möchten, mich mit den Ursachen bekannt zu machen, die Sie bewogen haben, sich solchergestalt von der menschlichen Gesellschaft zu entfernen und eine Lebensart zu wählen, für welche Sie, wie man gar wohl sehen kann, keineswegs geboren sind?«
»Ich halte mir's kaum für erlaubt, nach dem, was vorgefallen ist, Ihnen irgend etwas abzuschlagen,« versetzte der alte Mann. »Wenn Sie demnach ein Verlangen tragen, die Geschichte eines unglücklichen Mannes zu hören, so will ich sie Ihnen erzählen. Sie urteilen wirklich ganz richtig, wenn Sie meinen, es sei gewöhnlicherweise etwas sehr Außerordentliches in den Schicksalen solcher Menschen, welche der Gesellschaft der Menschen entfliehen: denn so paradox [108] oder selbst widersprechend es scheinen mag, so ist doch nichts gewisser, als daß es gerade die größte Liebe zur Menschheit ist, welche uns antreibt, das menschliche Geschlecht zu vermeiden und zu verabscheuen; nicht sowohl wegen seiner persönlichen und selbstsüchtigen Laster, als wegen der Laster von relativer Gattung, als da sind Neid, Haß, Verräterei, Grausamkeit und aller andern Arten von tückischer Bosheit. Dies sind die Laster, an welchen die wahre Menschenliebe einen Greuel hat und derentwegen sie die menschliche Gesellschaft selbst lieber flieht, als ihre Ausbrüche sehen und mit solchen lasterhaften Geschöpfen Umgang haben mag. Unterdessen, ohne Ihnen ein Kompliment zu machen, scheinen Sie mir keiner von denen zu sein, die ich fliehen oder verabscheuen möchte; ja, ich muß sagen, aus dem Wenigen, was Ihnen entfallen ist, scheint eine gewisse Aehnlichkeit in unsrem Schicksale zu erhellen; dennoch hoff' ich, soll das Ihrige einen glücklichen Ausgang nehmen.«
Hier sagten sich unser Held und sein Wirt wechselsweise einige Höflichkeiten und der letztere stand im Begriff, mit seiner Geschichtserzählung den Anfang zu machen, als Rebhuhn ihn unterbrach. Seine Angst hatte ihn nun so ziemlich verlassen; aber die Wirkungen seines Schreckens waren noch nicht völlig vorüber. Er erinnerte also den alten Herrn an den vortrefflichen Branntwein, dessen er erwähnt hatte. Dieser ward augenblicklich herbeigebracht und Rebhuhn verschluckte davon ein großes volles Glas.
Der alte Herr begann darauf, ohne weitere Vorrede, wie man in dem folgenden Kapitel lesen wird.
Elftes Kapitel.
In welchem der Mann vom Berge seine Geschichte zu erzählen beginnt.
»Ich ward in einem Dorfe der Grafschaft Somersetshire, namens Mark, im Jahre 1657 geboren. Mein Vater war einer von denen, welche man wohlhabende Pächter heißt. Er hatte ein eignes kleines Gut von ungefähr dreihundert Pfund Sterling Einkünfte des Jahres, und ein andres von ungefähr eben dem Ertrage in Pachtung. Er war klug und fleißig und ein so guter Landwirt, daß er ein sehr ruhiges und gemächliches Leben hätte führen können, hätte nicht ein Ausbund einer Hexe von Weib seine häusliche Glückseligkeit verbittert. Allein obgleich dieser Umstand ihn unglücklich machte, so machte er ihn doch nicht arm, denn er hielt sie sozusagen in gänzlicher Gefangenschaft daheim und wollte sich lieber in seinem eignen Hause beständig die Ohren vollzanken lassen, als dadurch sein Vermögen in Gefahr setzen, daß er ihr in den Ausschweifungen nachsähe, [109] welche sie außer demselben zu begehen begierig war. Von dieser Xantippe (so hieß die Frau des Sokrates, sagte Rebhuhn), von dieser Xantippe hatte er zwei Söhne, unter denen ich der jüngste war. Er war gesonnen, uns beiden eine gute Erziehung zu geben. Mein älterer Bruder aber, der zu seinem Unglück seiner Mutter Schoßkind war, verabsäumte es ganz und gar etwas zu lernen, dergestalt, daß, nachdem er fünf oder sechs Jahre mit geringem oder gar keinem Nutzen auf der Schule gewesen, sein Lehrer meinem Vater sagte, es würde vergebens sein, ihn länger da zu lassen, so daß mein Vater endlich einwilligte, ihn aus der Hand dieses Tyrannen, wie meine Mutter seinen Lehrer nannte, nach Hause zu nehmen. Obgleich dieser Tyrann den Knaben weit weniger züchtigte, als es seine Faulheit verdiente, so mocht' er ihn doch wohl ofter gezüchtigt haben, als es dem jungen
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