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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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Junker selbst hinaus und begann den Namen Sophie so laut und mit ebenso roher Kehle zu brüllen, als vor Zeiten Herkules den Namen Hylas brüllte; und wie nach der Sage des Dichters das ganze weite Ufer den Namen des schönen Jünglings widerhallte, so erschollen Haus, Garten und alle benachbarten Felder von nichts als von dem Namen Sophie, in den rohen tiefen Stimmen der Männer und in dem feinen hohen Gekreische der Weiber und Mädchen, und die schöne Nymphe Echo schien mit solchem Entzücken diesen geliebten Namen nachzusprechen, daß, wenn es wirklich eine solche Nymphe gibt, Ovid, wie ich glaube, ihrem Geschlechte viel zu nahe gethan hat.
    Eine lange Zeit hindurch herrschte nichts als Verwirrung, bis endlich der Junker, nachdem er Atem genug daran verschwendet hatte, wieder in das Besuchzimmer kam, woselbst er Ihro Gnaden, Fräulein von Western, und den Junker Blifil noch vorfand und sich mit höchst kläglichem Gesichte in seinen Großvaterstuhl warf. Hier begann Ihro Gnaden, Fräulein von Western, ihm folgende Trostrede zu halten:
    »
Mon Frère,
ich bin herzlich bekümmert über das, was sich zugetragen hat, und daß
ma Nièce
eine Aufführung angenommen, welche für unsre Familie so höchst unschicklich ist; aber
mon Frère,
es ist alles Ihr eignes Werk, und daher haben Sie keinem Menschen dafür zu danken, als Sich selbst. Sie wissen, sie ist immer auf eine Art erzogen worden, welche gerade das Gegenteil war von dem, was ich beständig anriet, und da sehen Sie nunmehr die Folgen. Hab' ich nicht mehr als tausendmal sehr gründlich mit Ihnen darüber gesprochen, weil Sie meiner
Nièce
ihren eignen Willen ließen? Aber Sie wissen, niemals habe ich etwas bei Ihnen ausrichten können, und als ich mir endlich alle Mühe gegeben hatte, den hartnäckigen [214] Eigensinn bei ihr auszurotten und Ihre Irrtümer und Thorheiten wieder ins reine zu bringen, da ward sie, Sie wissen es, mir aus den Händen genommen, und also hab' ich jetzt weiter nichts zu verantworten. Hätte man mir die uneingeschränkte Sorgfalt für ihre Erziehung anvertraut, so wären Ihnen solche Zufälle, wie dieser, niemals zugestoßen. Jetzund müssen Sie sich damit trösten, daß es alles Ihr eignes Werk ist, und in der That, was konnte man wohl anders von solcher Verzärtelung erwarten?« – »Der Hagel! Schwester,« antwortete er, »du sollt'st ein'n wirklich toll machen. Hab' ich sie verzärtelt? Hab' ich'r ihren Willen gelassen? – Hab' ich sie nich noch gester abend gedroht, wenn sie m'r ungehorsam wäre, wollt' ich s'e uf ihre Kammer verschließen bei Wasser und Brot, solange sie lebte? hab' ich nicht? – Hiobsgeduld muß m'r bei dir haben, und doch langt sie nicht zu, wenn du ein'm deinen Trost zusprichst.«
    »Hat jemals eine sterbliche Seele dergleichen gesehen!« erwiderte sie. »
Mon Frère!
wenn ich nicht fünfzigmal so viel Geduld hätte, als der weise Hiob, so würden Sie mich dahin bringen, alle
Decence
und alles
Decorum
zu vergessen. Warum mußten Sie sich in die Sache mischen? Hab' ich Sie nicht ersucht, hab' ich Sie nicht ordentlich gebeten, die Ausführung der ganzen Sache mir zu überlassen? Alle Operationen von einer ganzen Kompanie haben Sie durch einen falschen Schritt über'n Haufen geworfen. Würde wohl ein Mann bei gesunder Vernunft durch Drohungen wie diese eine Tochter erschreckt und erbittert haben? Wie oft hab' ich's Ihnen gesagt,
mon Frère,
daß das Frauenzimmer in dem gesitteten freien Europa sich nicht behandeln läßt, wie karkassische 1 Sklavinnen. Wir stehen unter dem Schutz der Gesetze und der Sitten. Uns kann man bloß durch Sanftmut und Güte gewinnen; wir lassen uns durch keine Drohungen und Schrecken und Poltern ins Bockshorn jagen. Dem Himmel sei Dank, daß das salische Gesetz nur in Frankreich Mode ist!
Mon Frère,
Ihre Sitten sind so rauh, daß es kein Frauenzimmer außer mir mit Ihnen aushalten könnte. 's nimmt mich nicht wunder, daß
ma Nièce
sich durch Schrecken und Angst dahin hat bringen lassen, diesen Schritt zu thun. Und mit aller Offenherzigkeit zu sagen, glaub' ich,
ma Nièce
wird für das, was sie gethan hat, bei der Welt vollkommene Rechtfertigung finden. Ich sag' es Ihnen abermal und abermal,
mon Frère,
Sie müssen sich damit trösten, daß Sie bedenken, es sei alles bloß Ihr eigner Fehler. Wie oft hab' ich Ihnen nicht den Rat gegeben –« Hier sprang [215] Western hastig auf aus seinem Stuhl, erleichterte sein Herz durch drei abscheuliche Verwünschungen und rannte zum Zimmer

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