Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
hinaus.
Als er fortgegangen war, ließ sich seine Schwester womöglich mit noch mehr Bitterkeit, als sie in seiner Gegenwart gethan hatte, wider ihn vernehmen, und berief sich auf Herrn Blifil, als Richter der Wahrheit dessen was sie sagte, welcher mit der größten Gefälligkeit jeder ihrer geäußerten Meinungen Beifall gab, dabei jedoch alle die Fehltritte des Herrn Western entschuldigte, »weil man bedenken müßte,« sagte er, »daß sie aus einer übertriebenen väterlichen Zärtlichkeit entsprungen wären, welches doch am Ende immer den Namen einer sehr liebenswürdigen Schwachheit verdiente.« – »Um so weniger ist es zu entschuldigen,« antwortete die Dame. »Denn wen richt't er durch seine Zärtlichkeit anders zu Grunde als sein eignes Kind?« Welcher Aeußerung Herr Blifil ohne Umstände Beifall gab. Ihro Gnaden, Fräulein von Western, beliebten nun auch zu äußern, wie sie in Ansehung des Herrn Blifil äußerst beschämt wären über die Behandlung, welche ihm von einer Familie widerfahren, der er eine so große Ehre zu erweisen gesinnt gewesen. In dieser Rücksicht sprach sie von der Thorheit ihrer
Nièce
mit großer Strenge, am Schluß aber warf sie die ganze Schuld auf ihren Bruder, der, wie sie sagte, nicht zu entschuldigen stände, daß er sich soweit eingelassen, ohne vorher seiner Tochter Einwilligung gewisser zu sein. »Aber,« fuhr sie fort, »seine Gemütsart ist von jeher immer so heftig und unbändig gewesen, und ich kann mir's kaum selbst verzeihen, daß ich so manchen guten Rat bei ihm verschwendet habe.«
Nach einer viel längeren Unterredung von dieser Natur, welche vermutlich den Leser eben nicht sonderlich belustigen würde, wenn wir hier solche wörtlich anführen wollten, nahm Herr Blifil seinen Abschied und ging, nicht eben gar zu vergnügt über seine fehlgeschlagene Erwartung, nach Hause; jedoch halfen ihm die Philosophie, welche er vom Herrn Quadrat erlernt, und die Religion, welche Herr Schwöger ihm eingeflößt hatte, zusammengenommen mit noch etwas andrem, dieses Unglück weit besser ertragen, als heftigere Liebhaber diese Arten von Uebel zu ertragen pflegen.
Fußnoten
1 Vielleicht meint sie Cirkassische.
Neuntes Kapitel.
Sophiens Flucht.
Es ist jetzt Zeit, uns nach Sophien umzusehen, und der Leser, wenn er sie nur halb so innig lieb hat wie ich, wird sich herzlich freuen, zu finden, daß sie den Klauen eines hitzigen Vaters und den Krallen eines kalten Liebhabers entwischt sei.
[216] Zwölfmal hatte die Zeit mit ihrem eisernen Zahn an die helltönende Glockenspeise gebissen, und so den Geistern die Meßfreiheit erteilt, hervorzugehen und ihren Handel und Wandel zu treiben. – Ohne weitere Floskeln, die Uhr war zwölfe und jedermann im Hause, wie wir bereits gesagt, lag im Rausch und Schlaf begraben, ausgenommen Ihro des Fräuleins von Western Gnaden, welche emsig beschäftigt war, ein politisches Monatsheft zu lesen, und ausgenommen unsre Heldin, die sich jetzt ganz leise die Treppen hinabschlich, und nachdem sie eine von den Hausthüren aufgeriegelt und aufgeschlossen hatte, davonging und mit raschem Schritte nach dem verabredeten Platze hineilte. Ungeachtet der mancherlei niedlichen Künste, welche Damen zuweilen anwenden, um bei jeder kleinen Veranlassung ihre gar zärtliche Furchtsamkeit zur Schau zu legen (fast ebenso mancherlei als die, deren sich das andre Geschlecht bedient, um sie zu verbergen), gibt es doch zuverlässig einen Grad von Herzhaftigkeit, welche ein Frauenzimmer nicht nur wohl kleidet, sondern ihr oft sogar notwendig ist, um fähig zu sein, ihre Pflichten zu erfüllen. Eigentlich ist es der Begriff von Kühnheit, aber nicht von Herzhaftigkeit, welcher bei einem weiblichen Charakter anstößig ist; denn wer kann die Geschichte der so billigerweise berühmten Arria lesen, ohne eine ebenso hohe Meinung von ihrer Sanftmut und Zärtlichkeit, als von ihrer Seelenstärke zu fassen? Dabei hat man auch der Exempel gesehen, daß eine Frau, die bei Erblickung einer Maus oder einer Spinne ein Angstgeschrei ausstößt, gar wohl im stande ist, ihren Ehemann zu vergiften oder, was noch ärger ist, ihn soweit zu treiben, daß er sich selbst vergiften muß.
Bei alle dem sanften Wesen, welches ein Frauenzimmer nur immer haben kann, hatte Sophie allen den Mut, den sie haben sollte. Als sie daher auf dem verabredeten Platze anlangte und, anstatt ihre Jungfer nach der Abrede vorzufinden, eine Mannsperson gerade nach ihr herreiten sah, fing sie kein
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