Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
konnte, besonders da ihm dies auch zu andern Zeiten so ziemlich oft zu begegnen pflegte.
Aber wenn auch Sophiens Stimme wirklich über das Pferd eine übernatürliche Macht hatte, so hatte sie doch nur sehr wenige auf seinen Reiter. Dieser antwortete ein wenig mürrisch, sein Wirt habe ihm befohlen, einen andern Weg zu reiten, und er würde um seinen Dienst kommen, wenn er einen andern ginge, als den welcher ihm geheißen worden.
Als Sophie fand, daß alle ihre Ueberredungen nichts wirkten, begann sie ihrer Stimme einen unwiderstehlichen Zauber hinzuzufügen, einen Zauber, welcher, nach dem Sprichworte, die alte Stute in Trab setzte, anstatt sie stillstehen zu machen. Ein Zauber, dem unsere Zeiten alle die unwiderstehliche Gewalt zugeschrieben haben, welche die Alten der vollkommnen Rednerkunst beilegten. Mit einem Wort, sie versprach ihn so reichlich zu belohnen, als er nur immer erwarten könnte.
Der Enke war gegen die Versprechungen nicht ganz und gar taub, es mißfiel ihm nur, daß sie indefinirt waren; denn ob er gleich dies Wort in seinem Leben nie gehört haben mochte, so beruhte doch darauf eigentlich seine Einwendung. Er sagte, vornehme Leute pflegten's mit dem armen Volke so genau eben nicht zu nehmen; er wäre auf ein Haar nah vor ein paar Tagen weggejagt worden, weil er auch im Land 'rum geritten wäre, mit einem Herrn von Junker Alwerths Hofe, der'n nicht belohnt hätte, wie wohl recht und billig gewesen wäre.
»Mit wem?« sagte Sophie etwas hastig. – »Mit 'n Herrn von Junker Alwerths Hofe,« antwortete der Enke, »des Squires seinen Sohn, mein' ich ja wohl, heißen s'n.« – »Wohin? welchen Weg ging er?« sagte Sophie. – »Wo sollt' er hingehn? so des [219] Wegs nach Bristol hin, wohl acht Stunden weit,« antwortete der Bursche. – »Bring' Er mich nach demselben Orte, so will ich Ihm eine Guinee geben, oder auch zwei, wenn's an einer nicht genug ist.« – »'S ist nicht unrecht,« sagte der Philisterknecht, »'s is unter Brüdern zweie wert, wenn Ihr Gnaden bedenken, was ich vor'n Wagstückschen mache, aber laß gehn! Wenn Ihr Gnaden mir die zwei Guineen versprechen, so will ich ein blau Auge dran wagen. En bischen Sünde is wohl dabei, daß kann 'ch wohl nicht leugnen, so mit mein's Wirts Pferden herumzukaballen; aber ein Trost is dabei, er kann mir weiter nichts thun, als mich wegjagen und zwei Guineen sind doch gut mitzunehmen!«
Da auf diese Weise der Handel geschlossen war, lenkte der Vorreiter seitwärts nach dem Wege auf Bristol, und Sophie ritt fort, Herrn Jones aufzusuchen, stracks an gegen die Meinung und Vorstellungen der Jungfer Honoria, der es weit mehr am Herzen lag in London zu sein, als beim Herrn Jones. In der That war sie bei ihrer Herrschaft nichts weniger als seine Freundin, denn er hatte sich in gewissen Geldhöflichkeiten nicht gar zu aufmerksam bewiesen, auf welche, nach eingeführtem Brauch und Sitten, die Putzjungfern bei allen Liebesangelegenheiten gewisse Ansprüche haben, ganz besonders aber wenn diese Angelegenheiten heimlich geführt werden. Wir schreiben dies mehr auf Rechnung seiner Vergeßlichkeit, als auf den geringsten Mangel an Freigebigkeit; sie mochte es aber wohl aus der letzten Ursache herleiten. Gewiß ist es, daß sie ihn dieser Versäumnis wegen recht bitterlich haßte und sich entschloß, keine Gelegenheit vorbeizulassen, wo sie ihm bei ihrer Herrschaft eins versetzen könnte. Es war daher für sie ein rechtes Unglück, daß sie gerade nach ebendemselben Flecken und in dasselbe Wirtshaus gehen müssen, aus welchem Jones seine Wallfahrt angetreten und noch unglücklicher darin, daß sie gerade an eben denselben Vorreiter geraten war, durch welchen Sophie diese gelegentliche Entdeckung machte.
Unsre Reisenden langten, als der Tag zu dämmern begann, zu Hambroock an, dem Dorfe, wo Jones den tröstlichen Zuspruch des Quäkers genoß, und woselbst Honoria wider ihren Willen den Auftrag erhielt, sich nach dem Wege zu erkundigen, welchen Herr Jones genommen hätte. Das hätte ihnen nun zwar ihr eigener Vorreiter ebensogut sagen können, aber Sophie, ich weiß nicht aus was Ursach, hatte ihn mit keinem Wort drum gefragt.
Als Jungfer Honoria die Nachricht überbrachte, welche sie von dem Wirte eingezogen hatte, erhielt Sophie nach vielen Schwierigkeiten einige elende Pferde, welche sie nach dem Wirtshause brachten, wo Jones, mehr durch das Unglück einen Wundarzt gefunden, als [220] eine Wunde am Kopf empfangen zu haben, einige Tage aufgehalten worden
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