Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
dieser Republik zu verbannen. Dergleichen Kunstrichter waren Aristoteles, Horaz und Longin unter den Alten, Dacier und Bossu unter den Franzosen, und einige andere unter den übrigen Nationen, welche allerdings die gerechteste Befugnis hatten, eine richterliche Gewalt
in foro litterario
auszuüben.
Ohne aber alle erforderlichen Eigenschaften eines Kunstrichters, [227] die ich schon anderwärts berührt habe, zu bestimmen, meine ich, ganz kühnlich den Tadel eines jeden Menschen verwerfen zu dürfen, womit er über Werke herfährt, die er selbst nicht gelesen hat. Kritiker von diesem Schlage, sie sprechen nun aus eigener Vermutung oder Verdacht, oder nach dem Bericht und der Meinung anderer, fallen mit Recht unter das Urteil: daß sie den Büchern, welche sie verdammen, verleumderischerweise die Ehre abschneiden.
Dieses Urteil zu verdienen sind gleichfalls alle diejenigen verdächtig, welche, ohne besondere Fehler anzuzeigen, ein Buch in allgemeinen und entehrenden Ausdrücken verurteilen, als da sind elend, dumm, unsinnig Zeug und dergleichen; und besonders, wenn sie sich des vornehmen Schimpfworts pöbelhaft bedienen; ein Wort, welches sich in dem Munde keines Kritikers schickt, der nicht wenigstens hochwohlgeboren ist.
Ferner, wenn auch in einem Buche hin und wieder Fehler zu finden sein möchten, so verrät es doch, wofern solche nicht die wesentlichsten Stücke des Buches selbst angreifen, oder wenn sie durch größere Schönheiten ersetzt sind, vielmehr die Bosheit eines Verleumders, als wahres Kunsturteil eines Kritikers, wenn er über das Ganze bloß wegen einiger mangelhaften Teile ein strenges Urteil fällt. Ein solches Verfahren ist Horazens Vorschrift schnurstracks zuwider:
Verum ubi plura nitent in carmine, non ego paucis
Offendor maculis, quas aut incuria fudit,
Aut humana parum cavit natura –
Wo viel, viel schönes im Gedichte glänzt,
Beleidigen mich kleine Fehler nicht,
Die etwa Kinder der Sorglosigkeit,
Wie! oder leichter Menschenschwachheit sind.
Denn, wie Martial sagt:
aliter non fit avite Liber,
so sind noch alle Bücher gemacht. Alle Schönheit eines Charakters sowohl, als einer Gestalt, und überhaupt aller menschlichen Dinge, muß nach dieser Weise geprüft werden. Grausam würde es sein in der That, wenn ein solches Werk, wie diese Geschichte, zu dessen Verfertigung einige tausend Stunden verwendet sind, deswegen sollte verurteilt werden können, weil irgend ein Kapitel, oder vielleicht einige Kapitel so beschaffen sein können, daß sich mit Recht und Vernunft daran etwas aussetzen ließe, und doch ist nichts gewöhnlicher, als daß die allerstrengsten Urteile über Bücher sich auf solche Ausstellungen gründen, welche, wenn sie für nichts mehr und weniger genommen würden, als was sie sind, (das geschieht aber nicht immer) dem Verdienste des Ganzen nicht das geringste benehmen. Auf dem Theater [228] besonders ist ein einziger Ausdruck, der nicht gerade nach dem Geschmacke der Zuschauer, oder nur eines oder des andern Kritikers unter den Zuschauern gewählt ist, sicher ausgezischt zu werden, und schon ein Auftritt, welcher keinen Beifall findet, setzt das ganze Stück in Gefahr. Sich mit seinem Schreiben nach solchen strengen Regeln einzuschränken ist ebenso unmöglich, als nach den Meinungen einiger finstern Schwärmer zu leben, und wenn wir nach den Vorschriften einiger Kritiker und einiger Christen urteilen, so wird kein Schriftsteller in dieser, und kein Mensch in jener Welt der Verdammnis entrinnen.
Zweites Kapitel.
Abenteuer, welche Sophien aufstießen, nachdem sie Upton verlassen hatte.
Unsere Geschichte hatte gerade vorher, als sie umzukehren und rückwärts zu reisen genötigt war, der Abreise Sophiens und ihrer Zofe aus dem Gasthofe erwähnt. Wir wollen nunmehr also den Schritten dieses liebenswürdigen Geschöpfes folgen, und ihren unwürdigen Liebhaber ein wenig länger sein widriges Geschick oder vielmehr seine schlechte Aufführung beseufzen lassen.
Nachdem Sophie ihren Vorreiter angewiesen hatte, querfeldein auf Nebenwegen zu reiten, gingen sie bald über die Severn, und kaum waren sie eine gute Viertelstunde weit von dem Gasthofe, als die junge Dame beim Umsehen einige Pferde in vollem Trabe hinter ihr herkommen sah. Dies verursachte ihr nicht wenig Furcht, und sie rief dem Vorreiter zu, er solle so scharf zugehen lassen als möglich.
Er gehorsamte augenblicklich und fort ritten sie in vollem Galopp. Aber je heftiger sie ritten, je eifriger
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