Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
und zwar in einer gar nicht angenehmen Jahreszeit zu Pferde gesessen war, mag einem närrisch genug vorkommen. Man sollte glauben, sie müsse das vorher schon wohl überlegt und beschlossen haben, ja selbst Jungfer Honoria nach dem Winke zu urteilen, den sie sich entfallen ließ, schien derselben Meinung zu sein und ich zweifle nicht, viele von meinen Lesern sind es mit ihr, und sind gewiß schon längst von dem Vorsatze unserer Heldin überzeugt, und haben sie deswegen schon längst als ein leichtsinniges, mannsüchtiges Mädchen verdammt. Dies war aber in der That nicht der Fall. Sophie war die letzte Zeit her sehr verwirrt und unentschlossen gewesen, zwischen Hoffnung und Furcht, ihrer Pflicht und Liebe zu ihrem Vater, ihrem Hasse gegen Blifil, ihrem Mitleiden und (warum sollten wir nicht die reine Wahrheit gestehn?) ihrer Liebe für Jones, welche letzte das Betragen ihres Vaters, ihrer Tante und überhaupt jedermanns, ganz besonders aber [222] des Herrn Jones selbst, zu einer hellen Flamme angefacht hatte, daß sich ihr Gemüt in einem solchen fassungslosen Zustand befand, von dem man mit Wahrheit sagen kann, er mache uns unempfindlich gegen das, was wir thun, oder wohin wir gehen; oder, eigentlicher zu sagen, ein solcher Zustand macht uns gleichgültig gegen alle Folgen dessen, was wir thun oder unternehmen.
Der weise und kluge Rat ihrer Zofe brachte indessen einige kalte Ueberlegungen bei ihr hervor, und sie faßte zuletzt den Entschluß, nach Gloucester und von da auf dem gradesten Wege nach London zu gehn. Zum Unglück aber begegnete ihnen nicht weit vor Gloucester der kräuselnde Gerichtsprokurator, welcher, wie wir vorher angemerkt haben, daselbst mit Herrn Jones zu Mittag gegessen hatte. Dieser eilfertige Mann, welcher mit Jungfer Honoria bekannt war, hielt sie an, um mit ihr zu sprechen, was Sophie dazu mal nicht weiter anfocht, als daß sie fragte, wer der Mensch wäre?
Als sie aber nachher zu Gloucester bei ihrer Jungfer über diesen Mann nähere Nachricht eingezogen und die große Eilfertigkeit vernommen hatte, womit er gewöhnlich reiste und wegen welcher er (wie bereits bemerkt worden) ganz vorzüglich berühmt war, sich auch zugleich erinnerte, wie sie von fern gehört, daß Jungfer Honoria zu ihm gesagt hätte, ihr Weg ginge nach Gloucester, so wandelte sie die Furcht an, ihr Vater möchte durch diesen Mann auf die Spur gebracht werden, ihr bis zu dieser Stadt nachzufolgen. Wenn sie sich also hier auf die Londoner Straße begeben wollte, so fürchtete sie, würde er gewiß im stande sein sie einzuholen. Aus dieser Ursache änderte sie ihren Entschluß, und nachdem sie auf eine ganze Woche Pferde gemietet und einen Weg genannt hatte, den sie keineswegs gesonnen war zu reisen, begab sie sich nach einer leichten Erfrischung wieder auf den Weg, gegen den Wunsch und das ernstlichste Bitten ihres Kammermädchens, und nicht weniger gegen die triftigsten Vorstellungen der Frau Whitefield, welche aus guter Lebensart oder vielleicht auch aus gutem Herzen (denn das arme junge Fräulein schien sehr ermüdet zu sein), sehr angelegentlichst in sie drang, den Abend zu Gloucester zu bleiben.
Nachdem sich Sophie bloß durch ein paar Tassen Thee und durch ein paar Stündchen Ruhe auf dem Bette, so lange die Pferde abgefüttert wurden, ein wenig erquickt hatte, verließ sie mit entschlossenem Mute Madame Whitefields Haus um elf Uhr Abends, und da sie gradezu die Heerstraße nach Worcester einschlug, langte sie in weniger als vier Stunden vor dem Gasthofe an, in welchem wir sie zuletzt gesehen haben.
Nachdem wir also einen Zurücksprung gethan und unsrer Heldin [223] seit der Abreise aus ihres Vaters Hause bis zu ihrer Ankunft in Upton Schritt vor Schritt gefolgt sind, so wollen wir auch in wenig Worten ihren Vater nach demselben Orte bringen. Dieser empfing den ersten Handweiser von dem Pferdeknechte, welcher seine Tochter bis Hambrook gebracht hatte, und es war ihm leicht, ihrer Spur von da nach Gloucester zu folgen, als er hierselbst erfahren, daß Herr Jones des Weges nach Upton gegangen (denn Rebhuhn hinterließ, nach dem Ausdrucke des Junkers, allenthalben eine starke Witterung), so folgte er ihr auch dahin, denn er zweifelte im geringsten nicht, Sophie würde ihm nachreisen, oder, wie er's zu nennen beliebte, nachlaufen. Er bediente sich in der That eines sehr nachdrucksvollen Worts, welches wir hier nicht hersetzen mögen, weil weidgerechte Jäger, denen es doch nur allein verständlich sein würde, es von
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