Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Aengstlichkeit nach, als sie sah, daß sie solche ihrer Kousine weder ausreden noch auslachen könnte. Vielleicht möchte es schwerer gehalten haben, sie zu dieser Einwilligung zu bringen, wenn sie Nachricht von ihres Vaters Ankunft zu Upton gehabt hätte; denn, was den Herrn Jones betrifft, so möchte ihr wohl, wie ich besorge, der Gedanke, daß er sie einholen könnte, keinen so großen Abscheu verursachen; ja, wenn ich die Wahrheit gestehen soll, so glaub' ich, [237] wünschte sie das mehr, als daß sie es fürchtete, ob ich gleich diesen Wunsch bei aller meiner Ehrlichkeit dem Leser hätte verhehlen können, da es eine von jenen geheimen, unfreiwilligen Bewegungen der Seele war, mit denen die Vernunft oft nichts zu schaffen hat.
Nachdem die jungen Damen beschlossen hatten, die Nacht über in dem Wirtshause zu bleiben, machte ihnen die Wirtin ihre Aufwartung, um zu erfahren, was die gnädigen Damen zum Abendessen befehlen möchten. Solcher Zauber lag in der Stimme, in den Manieren und in dem leutseligen Betragen Sophiens, daß sie die Wirtin bis zum höchsten Grade entzückte, und daß die gute Frau, welche nicht anders meinte, als sie habe der Jenny Cameron aufgewartet, wie man eine Hand umkehrt, eine eifrige Jakobitin ward, und der Sache des Prätendenten alles beste anwünschte, wegen der großen Sanftmut und Leutseligkeit, womit ihr von seiner vermeinten Geliebten begegnet worden war.
Die beiden Kousinen fingen nunmehr an, sich einander ihre wechselseitige Neugierde zu gestehen, um zu erfahren, was für außerordentliche Zufälle auf beiden Seiten diese so sonderbare und unerwartete Zusammenkunft verursacht hätten. Als endlich Madame Fitz Patrick von Sophien ein Versprechen erhalten hatte, daß sie in ihrer Reihe gleichfalls erzählen wolle, begann sie dasjenige mitzuteilen, was der Leser, wenn ihn darnach verlangt, ihre Geschichte zu wissen, im folgenden Kapitel lesen kann.
Viertes Kapitel.
Madame Fitz Patricks Geschichte.
Nach einem Stillschweigen von einigen Augenblicken holte Madame Fitz Patrick einen tiefen Seufzer und begann ihre Geschichte folgendermaßen: »Dem Unglücklichen ist es natürlich, eine geheime Beklemmung zu fühlen, wenn er sich der Zeiten seines Lebens erinnert, welche für ihn die angenehmsten waren. Das Andenken an vergangene Freuden erfüllt uns mit einer Art von sanfter Melancholei, gleich jener, welche uns der Abschied von Freunden verursacht, und die Idee von beiden schwebt sozusagen wie ein abgeschiedener Geist um unsre Imagination.
Aus dieser Ursache gedenke ich niemals ohne Kummer an jene Tage (bei weitem die glücklichsten meines Lebens), die wir miteinander zubrachten, als wir beide bei meiner Tante von Western erzogen wurden. Ach! wo sind Fräulein Feierlich und Fräulein Schwindlich geblieben! Sie erinnern sich gewiß noch der Zeit, wo wir uns noch bei keinem andern Namen nannten! Sie hatten freilich [238] nur zu viel Recht, mir die letzte Benennung beizulegen; ich habe seitdem genug erfahren, wie sehr ich sie verdiente. Sie, meine Sophie, hatten beständig in allen Dingen den Vorzug vor mir und ich hoffe herzlich, daß Sie solchen auch in Ihrem Glücke haben sollen. Ich werde den weisen und fast matronenhaften Rat in meinem Leben nicht vergessen, den Sie mir einst gaben, als ich mich über das Unglück beklagte, daß mir ein Ball rückgängig geworden war, ob Sie gleich dazumal noch keine vierzehn Jahr alt sein konnten. – O, meine Sophie, wie höchst glücklich mußte meine Lage sein, da mir eine so kleine mißlungne Freude ein Unglück scheinen konnte und wirklich das größte war, das mich noch jemals betroffen hatte!«
»Und dennoch, meine teure Henriette,« antwortete Sophie, »war es damals für Sie eine sehr ernsthafte Sache. Trösten Sie sich also mit dem Gedanken, daß alles dasjenige, worüber Sie jetzt zu klagen Ursache zu haben glauben, Ihnen mit der Zeit ebenso unwichtig und unbedeutend scheinen kann, als jetzt jener mißlungne Ball.«
»Ach, meine Sophie,« erwiderte die andre, »Sie selbst werden von meiner gegenwärtigen Lage anders denken: denn dieses weichfühlende Herz müßte sich mächtig geändert haben, wenn meine Widerwärtigkeiten Ihnen nicht manchen Seufzer, ja manche Thräne entlockten. Diese Ueberzeugung sollte mich vielleicht abhalten, Ihnen dasjenige zu erzählen, was Sie, wie ich gewiß weiß, nicht wenig rühren wird.« – Hier schwieg Madame Fitz Patrick, und Sophie mußte sie zu wiederholten Malen bitten, ehe sie weiter
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