Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
merken, daß sie meine Bekanntschaft vermieden, nicht sowohl vielleicht wegen eines wirklichen Verdachts, als weil sie mich aus einer Gesellschaft zu entfernen wünschten, in welcher sich ihr Günstling zu viel mit mir zu schaffen machte. Und hier kann ich nicht umhin, dem Herrn Nash meine Dankbarkeit für die Güte zu bezeigen, womit er sich meiner annehmen wollte, denn ich wäre ein glückliches Mädchen gewesen, wenn ich den Rat befolgte, den er mir gab, als er mich eines Tages auf die Seite nahm und zu mir sagte: ›Liebes [242] Fräulein, es thut mir leid, daß ich den vertrauten Umgang sehe, den Sie einem Menschen gestatten, der Ihrer völlig unwürdig ist, und der, wie ich fürchte, Ihr Verderben sein wird. Was Ihre alte stinkende Tante betrifft, so sollte mir's, wofern es nicht zu Ihrem und der lieben Sophie Western (ich versichere Sie, ich wiederhole seine eigenen Worte) Schaden und Nachteil wäre, herzlich lieb sein, wenn sich der Mensch in den Besitz alles des Ihrigen setzte. Für alte Weiber habe ich keinen Rat, denn wenn die sich's einmal in den Kopf setzen, dem Satan in den Rachen zu rennen, so ist es ebenso unmöglich, als es der Mühe wert ist sie zurückzuhalten. Unschuld und Tugend und Schönheit sind eines bessern Schicksals wert und die möcht' ich aus seinen Klauen befreien. Verwerfen Sie also meinen Rat nicht, mein teuerstes Fräulein, und erlauben Sie diesem Menschen niemals mehr die geringste Vertraulichkeit.‹ Er sagte mir noch viel mehr dergleichen, was ich jetzt vergessen habe und worauf ich auch wirklich damals nur sehr wenig achtete, denn meine Neigung widersprach alle demjenigen, was er sagte, und überdem auch konnt' ich mich nicht bereden lassen, daß Damen vom ersten Range sich herablassen würden mit einer Person, wie er mir den Mann beschrieb, auf einem vertrauten Fuß zu leben.
Aber ich fürchte, meine Beste, ich mache Ihnen Langeweile, wenn ich Ihnen so viele kleine Umstände erzähle. Um es also kürzer zu fassen, denken Sie sich's, daß ich verheiratet bin, denken Sie sich's, wie ich mit meinem Ehemanne zu den Füßen meiner Tante kniee, und dann denken Sie sich die rasendste Frau in einem Tollhause, welche eben ein Anfall von Tobsucht anwandelt, und Ihre Einbildung kann Ihnen nichts Aergeres vorstellen, als was damals wirklich vorging.
Gleich den folgenden Tag verließ meine Tante den Ort, teils um zu vermeiden, den Herrn Fitz Patrick und mich zu sehn, und vielleicht ebensosehr, um weiter niemand mehr zu sehen; denn ob man mir gleich gesagt hat, daß sie nachher alles gradezu ableugnen wollen, so glaub' ich doch war sie damals über ihre mißlungene Hoffnung in nicht geringer Verwirrung. Seit der Zeit hab' ich ihr verschiedene Briefe geschrieben, aber niemals eine Antwort erhalten können, und das deucht mich um so härter zu sein, weil sie, obgleich ohne ihren Willen, die Ursache aller meiner Leiden ist; denn wäre es nicht unter dem Vorwande seiner verliebten Besuche bei ihr geschehen, so würde Herr Fitz Patrick niemals die erforderliche Gelegenheit gefunden haben mein Herz zu gewinnen, welches unter andern Umständen, wie ich mir noch bis auf diese Stunde schmeichle, für einen solchen Menschen keine so leichte Eroberung gewesen sein würde. Ich glaube wirklich, ich würde mich in meiner Wahl nicht [243] so gröblich geirrt haben, wenn ich mich auf mein eignes Urteil verlassen hätte, aber ich verließ mich völlig auf die Meinung andrer und höchst thörichterweise hielt ich die Verdienste eines Mannes für ausgemacht, den ich bei allen Frauenzimmern durchgängig so gut angeschrieben sah. Woran liegt das, meine Beste, daß wir, die wir so viel Verstand haben als die Größten und Weisesten unter dem männlichen Geschlecht, doch so oft die einfältigsten Gimpel zu unseren Gefährten und Günstlingen wählen? Mein Aerger steigt bis zum höchsten Grade, wenn ich an die große Anzahl von verständigen Weibern denke, die sich von Gecken haben ins Unglück führen lassen.« Hier machte sie eine kleine Pause, da aber Sophie nicht antwortete, fuhr sie weiter fort, wie im folgenden Kapitel steht.
Fünftes Kapitel.
Worin Madame Fitz Patricks Geschichte fortgesetzt wird.
»Wir blieben nach unsrer Verheiratung nicht länger als vierzehn Tage zu Bath, denn zu einer Aussöhnung mit meiner Tante war keine Hoffnung, und von meinem Vermögen konnte ich keinen Groschen habhaft werden, bis ich mündig geworden, bis dahin aber fehlten mir noch über zwei Jahre. Deswegen wollte sich
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