Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
in eine andre Art von Betragen, welche es vielleicht noch mehr wurde. Er zeigte sich jetzt mit großer Sanfmut und Zärtlichkeit und schmachtete und seufzte ohne Unterlaß. Zuweilen freilich wohl, war es Kunst oder Natur, das will ich nicht entscheiden, ließ er seinem Scherz und seiner Fröhlichkeit den gewöhnlichen freien Lauf; das geschah aber allemal wenn wir in großer Gesellschaft beisammen und andre Frauenzimmer dabei waren, denn selbst bei den Reihetänzen, wenn er nicht mein Tänzer war, ward er ernsthaft und seine Blicke wurden nur alsdann im höchsten Grade sanft und mild, wenn er sich mir näherte. In der That war sein Benehmen gegen mich so auffallend unterscheidend, daß ich hätte blind sein müssen, um es nicht zu bemerken, und, und, und« – »Und das machte Ihnen immer mehr Vergnügen, meine liebe Henriette!« rief Sophie. »Sie brauchen sich nicht zu schämen,« setzte sie mit einem Seufzer hinzu, »denn es ist nur zu wahr, es liegen unwiderstehliche Reize in der Zärtlichkeit, welche so viele Mannspersonen die Kunst besitzen gegen uns zu zeigen, ohne daß sie solche selbst empfinden.« – »Sehr wahr!« antwortete ihre Kousine; »Männer, welche bei allen übrigen Vorfällen kaum gewöhnlichen Menschenverstand zeigen, sind wahre Machiavells in der Kunst zu lieben. Ich wünschte, ich hätte davon keinen Beweis. Gut, die bösen Zungen fingen jetzt an, ebensosehr über mich herzufahren, als es vorher über meine Tante geschehen war, und es gab einige gute Damen, welche sich kein Gewissen daraus machten, zu behaupten, Herr Fitz Patrick hätte einen Liebeshandel mit uns allen beiden.
Was aber noch erstaunlicher scheinen mag, meine Tante sah nichts, noch schien sie im geringsten zu argwöhnen, was doch, wie ich glaube, an unser beider Betragen sichtbar genug war. Man sollte wirklich fast glauben, die Liebe beraube ein altes Frauenzimmer gänzlich der Augen. In der That verschlingen sie die verliebten Reden, die ihnen vorgesagt werden, mit solcher Gier, daß sie, wie ein ekelhafter Vielfraß, keine Zeit haben auf das zu achten, was unter den andern vorgeht, die mit ihnen an eben dem Tische sitzen. Dies hab' ich bei mehr Fällen als meinem eignen bemerkt, und dies [241] ward bei meiner Tante so nachdrücklich bewährt, daß, ob sie uns gleich oft zusammen fand, wenn sie vom Brunnensaale nach Hause kam, sein unbedeutendstes Geschwätz von Ungeduld über ihre Abwesenheit oder so etwas allen ihren Argwohn völlig erstickte. Eine List that bei ihr bewundernswürdige Wirkung; diese bestand darin, daß er mit mir umging wie mit einem Kinde und mich in ihrer Gegenwart niemals anders nannte, als artiges Jettchen. Dies gereichte ihm nun freilich bei Ihrer demütigen Dienerin eben nicht zur größten Empfehlung, allein ich sah doch bald hindurch, besonders da er mir, wenn sie nicht dabei war, wie ich vorher schon gesagt habe, ganz anders begegnete. Ob mir nun gleich eine Aufführung, deren Absicht ich entdeckt hatte, eben nicht sehr unangenehm war, so zog sie mir doch nicht wenig Mißvergnügen zu, denn meine Tante glaubte wirklich, ich sei nichts weiter als das, wofür mich ihr Liebhaber (denn dafür hielt sie ihn) zu nehmen schien, und sie behandelte mich in allem Betracht wie ein bloßes Kind. Und wirklich wundr' ich mich noch, daß sie nicht darauf bestand, mich wieder in Flügelkleider zu stecken.
Endlich dünkte es meinem Liebhaber (denn das war er) Zeit zu sein, mir auf eine feierliche Weise ein Geheimnis zu entdecken, das ich lange schon gewußt hatte. Er setzte nunmehr alle Liebe, die er gegen meine Tante vorgegeben hatte, auf meine Rechnung. Er beklagte es in sehr rührenden Ausdrücken, daß sie ihn so mißverstanden und ihm solche Aufmunterungen gegeben hätte, und machte sich ein großes Verdienst aus den langweiligen Stunden, die er bei ihr hätte aushalten müssen. Was soll ich Ihnen sagen, meine teure Sophie! Ich will nur die Wahrheit bekennen! Mir gefiel der Mann, mir gefiel meine Eroberung; meine Tante auszustechen, entzückte mich und es bezauberte mich, so manches andre Frauenzimmer noch nebenher zu demütigen. Kurz, ich besorge, mein Betragen war schon bei der ersten Liebeserklärung nicht so, wie es hätte sein sollen. Ich wünschte, ich hätt' ihm nicht eine fast zuverlässige Gewißheit gegeben, ehe wir voneinander schieden. Die ganze Gesellschaft zu Bath sprach nun laut, ich möchte fast sagen sie erhob ein Geschrei über mich. Verschiedene junge Damen ließen sich's geflissentlich
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