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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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Herrn Alwerths, weil seine Liebe zu demselben täglich zunahm. Dieses mochte ungeachtet aller Sorgfalt und aller Mühe, die sie sich zu andern Zeiten gab, vor Madam Blifil das gerade Gegenteil auszudrücken, vielleicht diese delikate Dame beleidigt haben, welche jetzt die Wilkins ganz gewiß haßte; und ob sie dieselbe gleich nicht völlig abschaffte oder vielleicht nicht abschaffen konnte, so fand sie doch Mittel, ihr das Leben herzlich sauer zu machen. Dies nahm Jungfer Wilkins endlich so übel, daß sie dem kleinen Tom [68] alle mögliche Arten von Achtung und Liebe, aus Widersetzlichkeit gegen Madam Blifil, ganz öffentlich bewies.
    Der Kapitän, welchem solchergestalt die Geschichte in Gefahr der Vergessenheit zu schweben schien, ergriff zuletzt eine Gelegenheit, sie selbst zu offenbaren.
    Er war eines Tages mit Herrn Alwerth in einem Gespräche über die Liebe des Nächsten begriffen, in welchem der Kapitän mit großer Gelehrsamkeit dem Herrn Alwerth bewies, daß das Wort,
Liebe des Nächsten,
in der heiligen Schrift keineswegs
Wohlthätigkeit
oder
Freigebigkeit
bedeuten soll.
    »Die christliche Religion,« sagte er, »wäre uns zu weit höheren Endzwecken gegeben, als uns eine Vorschrift einzuschärfen, welche viele heidnische Philosophen uns lange vorher schon gelehrt hätten, und welche, ob sie gleich vielleicht eine moralische Tugend heißen könnte, dennoch nur sehr wenig von der erhabenen Christus-Gesinnung, von der großen Erhebung der Gedanken enthielte, welche in ihrer Reinheit sich der Vollkommenheit der Engel näherte, und die man nicht anders erreichen, ausdrücken und empfinden könne, als vermittelst der Gnade. Diejenigen«, sagte er, »kämen der Meinung der Schrift näher, welche darunter die Sinneseinfalt verstünden, oder die Bereitwilligkeit, eine leutselige Meinung von unsern Brüdern zu fassen und über ihre Handlungen ein liebreiches Urteil zu fällen; eine Tugend, weit höher und viel umfassender, nach ihrer innern Natur, als eine erbärmliche Gabe an Almosen, welche, wenn wir es damit auch so weit trieben, daß wir dadurch den unsrigen wehe thäten, oder sie gar an den Bettelstab brächten, dennoch sich nicht auf sehr viele erstrecken könnte. Dahingegen die Liebe des Nächsten, in dem andern und wahrern Sinne, über das ganze menschliche Geschlecht ihren Einfluß hätte.«
    Er sagte: »wenn man betrachtete, was für Männer die Jünger gewesen, so wäre es einfältig, sich vorzustellen, daß ihnen die Lehre von Freigebigkeit und Almosengeben habe gepredigt werden können. Und da wir uns nicht wohl einbilden könnten, daß diese Lehre von ihrem göttlichen Urheber solchen Menschen sollte vorgetragen worden sein, die sie nicht ausüben konnten, um so weniger dürften wir annehmen, daß sie von solchen Leuten, in
dem
Sinne verstanden werde, die sie ausüben können, aber es nicht thun.«
    »Unterdessen, obgleich,« fuhr er fort, »wie ich besorge, wenig Verdienst bei wohlthätigen Handlungen ist, so möchte doch, ich gestehe es, für einen guten Menschen viel Vergnügen dabei sein, wenn es nicht durch eine gewisse Betrachtung sehr gemäßigt würde. Ich meine damit, daß wir dem Betruge ausgesetzt sind und unsere besten Wohlthaten denen erzeigen, die solche am wenigsten verdienen, [69] wie es denn, wie Sie mir einräumen müssen, der Fall mit ihrer Freigebigkeit gegen den unwürdigen Rebhuhn ist; denn zwei oder drei solcher Beispiele müssen die innere Zufriedenheit um ein merkliches vermindern, welche sonst ein guter Mann im Wohlthun finden würde. Ja sogar könnten sie ihn schüchtern machen, seine milde Hand aufzuthun, aus Furcht der Sünde, dem Laster unter die Arme zu greifen und dem Gottlosen seinen Weg zu ebnen; ein Verbrechen von blutroter Farbe, und das dadurch keineswegs hinlänglich entschuldigt wird, zu sagen, wir hatten nicht die Absicht Böses zu stiften; wofern wir nicht die äußerste Behutsamkeit in der Wahl solcher Gegenstände angewendet haben, denen wir unsere Wohlthaten zufließen lassen. Eine Betrachtung, welche, wie ich nicht zweifle, überhaupt die Freigebigkeit manches frommen würdigen Mannes eingeschränkt hat.«
    Herr Alwerth antwortete: »Er könne mit dem Kapitän nicht in griechischer Sprache disputieren, und könne deswegen auch nichts über den wahren Sinn des Wortes sagen, welches durch
Liebe des Nächsten
übersetzt wäre, aber er habe immer gedacht, es bestünde nach der besten Auslegung in Handlungen, und das Almosengeben sei wenigstens ein Zweig von

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