Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
werden, einen Cursum in diesem Collegio durchzugehen, so versichert man, daß man auf die Zartheit des Baues und der Leibesbeschaffenheit des Eleven die behutsamste Rücksicht nehmen wird; demgemäß bereits die erforderlichen Wülste angeschafft sind, welche sie vor den leidigen Zufällen blauer Augen, zerschellter Kinnbacken und blutiger Nasen hinlänglich schützen und sichern werden.
Sechstes Kapitel.
Was in der Gesellschaft beim Früstück vorfiel, nebst einigen Winken, die Leitung der Töchter betreffend.
Unsre Gesellschaft brachte des Morgens eben die gute Zuneigung zu einander wieder mit, womit sie des Abends vorher auseinander gegangen war; nur war der arme Jones sehr niedergeschlagen, denn er hatte kurz vorher von Rebhuhn die Nachricht erhalten, daß Madame Fitz Patrick ihre Wohnung verlassen hätte, und daß er [60] nicht habe erfahren können, wo sie hingezogen wäre? Diese Nachricht machte ihn äußerst betrübt und seine Mienen sowohl als seine Handlungen verrieten trotz allem seinem Bestreben das Gegenteil zu scheinen, die deutlichsten Anzeichen eines zerrütteten Gemüts.
Das Gespräch war jetzt wieder wie vorher von Liebe, und Herr Nachtigall äußerte abermals über diesen Gegenstand verschiedene von jenen warmen, großmütigen und uneigennützigen Gesinnungen, welche weise und besonnene Männer für romanhaft halten, von weisen und besonnenen Weibern aber gemeiniglich in einem bessern Lichte betrachtet zu werden pflegen. Madame Miller (denn so hieß die Frau Wirtin des Hauses) gab diesen Gesinnungen herzlichen Beifall; als sich aber der junge Mann an Mamsell Nette wegen ihrer Meinung wandte, antwortete diese bloß: »Sie glaube, der Herr, der am wenigsten gesprochen hätte, wäre fähig, das meiste zu empfinden.«
Dies Kompliment war so augenscheinlich an Herrn Jones gerichtet, daß es uns leid gethan haben würde, wenn er's hätte unbemerkt fallen lassen. Er beantwortete es wirklich mit vieler Artigkeit und schloß damit, daß er ihr durch eine feine Wendung zu verstehen gab, ihr eignes Stillschweigen gäbe von ihr selbst zu eben der Vermutung Anlaß, denn sie hatte weder jetzt noch gestern abend wirklich kaum die Lippen geöffnet.
»Es ist mir recht lieb,« sagte Madame Miller, »daß der Herr die Anmerkung macht; fast, ich versichre dich, bin ich seiner Meinung. Was ist's denn, das dir fehlt, Kind? In meinem Leben habe ich keine solche Veränderung gesehen! Wo hast du deine muntre Fröhlichkeit gelassen? Sollten Sie's wohl glauben, mein Herr, ich pflegte sie meine kleine Plaudertasche zu nennen. Nun hat sie die ganze Woche kaum zwanzig Worte gesprochen.«
Hier ward ihr Gespräch durch eine Magd unterbrochen, welche hereintrat und in der Hand ein Bündel brachte, das ihr, wie sie sagte, von einem Arbeitsmann für Herrn Jones zugestellt worden. Sie fügte hinzu: »der Mann sei flugs wieder weggegangen und habe gesagt, es brauchte keiner Antwort.«
Jones äußerte einige Verwunderung über diesen Vorfall und meinte, es müsse ein Mißverständnis sein; das Mädchen aber bestand darauf, sie wäre gewiß in Ansehung des Namens. Alle Frauenzimmer waren begierig, das Päckchen den Augenblick geöffnet zu sehen. Dies Geschäft ward endlich von der kleinen Betty verrichtet, und da fand man, daß der Inhalt aus einem Domino, einer Maske und einem Billet zur Maskerade bestand.
Jones behauptete jetzt noch zuversichtlicher als vorher, diese Sachen müßten durch einen Irrtum an den unrechten Mann gebracht sein, und selbst Madame Miller äußerte einige Zweifel und [61] sagte, sie wisse nicht, was sie davon denken solle. Herr Nachtigall aber war, als er gefragt ward, ganz andrer Meinung. »Alles, was ich aus der Sache schließen kann, mein Herr,« sagte er, »ist, daß Sie ein sehr glücklicher Mensch sind, denn ich kann nicht zweifeln, daß Ihnen diese Sachen von einer Dame geschickt worden, die Sie das Glück haben werden auf der Maskerade anzutreffen.«
Jones besaß nicht Eitelkeit genug, sich eine so schmeichelhafte Einbildung zu machen; auch gab Madame Miller der Meinung des Herrn Nachtigall eben keinen großen Beifall, bis Mamsell Betty den Domino in die Höhe hob und aus demselben eine Karte fiel, auf welcher folgende Worte geschrieben waren:
An Herrn Jones
.
Ein klein Geschenk der Feienkönigin –
Gebrauchen Sie's nach Ihrem Sinn.
Dies machte Madame Miller und Mamsell Nette mit Herrn Nachtigall einstimmig; selbst Herr Jones war beinahe überredet, dasselbe zu glauben.
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