Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
der letzte Atem entfahren wollte, aus den unbarmherzigen Klauen seines Feindes befreite.
Obgleich der Kerl verschiedene Püffe und Stöße von den Händen und Füßen des winzigen jungen Herrn, der mehr Willen als Kraft besaß, empfangen hatte, so hatte er sich doch eine Art von Gewissen daraus gemacht, seinen Brotherrn zu schlagen und würde sich damit begnügt haben, ihn bloß zu ersticken, aber gegen Herrn Jones hatte er keinen solchen Respekt. Sobald er sich also ein wenig unsanft von seinem neuen Gegner angepackt fühlte, bohrte er ihm eine von den Faustkrämpen in die Weichen, welche die Zuschauer in Broughtons Schule zwar mit sehr inniger Freude anbringen sehen, die aber bei weitem nicht halb so lustig zu fühlen sind.
Der nervige Jüngling hatte nicht so bald diesen Lungenhieb weg, als er auf einen höchst dankbaren Gegengruß sann, und nun erfolgte zwischen Jones und dem Lakaien ein Faustkampf, der sehr hitzig anfing, aber nur kurz dauerte; denn dieser Bursche war ebensowenig im stande, es mit Jones auszuhalten, als es vorher sein Herr gewesen war, es mit ihm aufzunehmen.
Und nun kehrte das Kriegsglück nach seiner alten Gewohnheit den Zustand der Sachen um; der vorige Sieger lag atemlos im Staube und der besiegte junge Herr hatte wieder Atem genug geschöpft, um Herrn Jones für seinen so zeitigen Beistand zu danken. Auch empfing er eine herzliche Danksagung von dem gegenwärtigen jungen Frauenzimmer, welches wirklich niemand anders war als Mamsell Nette, die älteste Tochter des Hauses.
Nachdem der Lakai wieder auf die Beine gekommen war, glupte er Herrn Jones an, schüttelte die Ohren und sagte mit einem bedenklichen Blinzeln: »Des Satans will 'ch sein, wenn 'ch mit Ihn'n wieder was zu thun hab'n will! Herr, Sie müssen auf'n Ringelboden [57] gangen sein, oder ich müßt mich verdammt irren!« – Und in der That müssen wir ihm seinen Irrtum zugute halten; denn so behende und so kräftig war unser Held, daß er es vielleicht mit einem der besten Faustfechter aufnehmen und mit leichter Mühe alle gewulstete Graduirte 1 von der Akademie des Herrn Broughton hätte von der Fechtschule schlagen können.
Der Herr, welcher vor Wut schäumte, befahl seinem Bedienten, auf der Stelle die Livree auszuziehen, wozu der letztre unter der Bedingung sehr bereitwillig war, wenn er seinen Lohn erhielte. Diese Bedingung ward ohne Widerrede eingegangen und der Bursche entlassen.
Und nunmehr bestand der junge Herr, dessen Name Nachtigall hieß, sehr dringend darauf, daß sein Retter auf eine Flasche Wein mit ihm fürlieb nehmen möchte, welches sich Jones nach vielem Nötigen gefallen ließ, obgleich mehr aus Gefälligkeit als aus Neigung, weil die Unruhe, die er in seinem Gemüte fühlte, ihn fast gar nicht zur Gesellschaft aufgelegt machte.
Mamsell Nette, welche das einzige Frauenzimmer im Hause war, da ihre Mutter und Schwester nach der Komödie gegangen waren, hatte gleichfalls die Gefälligkeit, ihnen Gesellschaft zu leisten.
Als Wein und Gläser auf dem Tische standen, fing der junge Herr an, die Veranlassung zu der vorgefallen Unruhe zu erzählen.
»Ich hoffe, mein Herr,« sagte er zu Jones, »Sie werden aus diesem Vorfalle nicht schließen, daß meine Gewohnheit sei, meine Bedienten zu prügeln; denn ich versichre Sie, daß dieses, so viel ich mich erinnern kann, das erste Mal ist, daß ich in diesen Fehler verfallen bin und daß ich selbst diesem Kerl manchen argen Streich [58] übersehen habe, ehe er mich hat dazu bringen können. Wenn Sie aber hören, was diesen Abend vorgegangen ist, so werden Sie, wie ich nicht zweifle, finden, daß ich zu entschuldigen bin. Es traf sich, daß ich einige Stunden früher als gewöhnlich nach Hause kam und vier Herren in Livree bei meinem Feuer im Whistspielen begriffen fand – und mein Hoyle, sollten Sie's glauben – mein bestes Exemplar vom Hoyle, das mich eine Guinee kostet, lag dabei aufgeschlagen auf dem Tische, und die wichtigsten Blätter im ganzen Buche waren mit Braunbier begossen. Sie werden mir zugeben, daß so etwas einen ärgern muß; dennoch sagte ich kein Wort, bis die honette Spielgesellschaft auseinander gegangen war, und da erst gab ich dem Kerl einen gelinden Verweis und er, anstatt im geringsten nur zu thun, als obs ihm leid wäre, gab mir eine naseweise Antwort und sagte: Die Bedienten müßten ebensowohl sich einen Zeitvertreib machen, als andre Leute; es thäte ihm freilich leid, daß das Buch begossen worden wäre, indessen hätten verschiedene
Weitere Kostenlose Bücher