Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
gewiß, meine Nette ist ein zu gutes Mädchen, als daß sie [63] wünschen sollte, hinzugehn, denn sie muß sich's noch erinnern, daß es ihr fast den Kopf verrückte, als Sie sie voriges Jahr hinführten und daß ein ganzer Monat darüber hinging, ehe sie sich wieder besinnen und ihre Nähnadel brauchen konnte.«
Obgleich ein tiefer Seufzer, der sich aus Nettens Busen stahl, eine heimliche Mißbilligung dieser Gesinnungen anzudeuten schien, so wagte sie es doch nicht, ihnen öffentlich zu widersprechen. Denn so wie diese gute Frau alle Zärtlichkeit einer Mutter besaß, so hatte sie auch bis dahin alles Ansehn einer Mutter behauptet, und wie ihre Nachgiebigkeit gegen die Wünsche ihrer Kinder bloß von der Sorge für ihre Sicherheit und künftige Wohlfahrt beschränkt wurde, so litt sie auch niemals, daß man sich gegen Befehle, die sich auf diese Vorsorge gründeten, ungehorsam bezeigen oder darüber disputieren durfte. Und dieß wußte der junge Mensch, welcher zwei Jahre in ihrem Hause gewohnt hatte, so gut, daß er sich ihre Weigerung ohne Widerrede gefallen ließ.
Herr Nachtigall, der jede Minute ein größeres Wohlgefallen an Herrn Jones fand, wünschte sehr, daß er den Tag mit ihm in Gesellschaft in einem Gasthofe zu Mittag essen möchte, wo er ihn bei einigen seiner Bekannten einführen wollte. Jones aber bat ihn zu entschuldigen, weil, wie er sagte, seine Kleider noch nicht angelangt wären.
Die Wahrheit zu bekennen, so war Herr Jones jetzt in einer Lage, in welcher sich zuweilen junge Herren zu befinden pflegen, die eine weit ansehnlichere Figur spielen als er. Kurz, seine Börse vermochte nicht einen Dreier. Eine Lage, die unter den Philosophen alter Zeiten in viel größerm Kredit stand, als unter den neuern weisen Männern, welche die Kaufmannsbörse oder die Würfel- und Pharotische besuchen. Und vielleicht ist die große Ehre, welche jene Philosophen auf einen leeren Geldbeutel gesetzt haben, gerade eine von den Ursachen der tiefen Verachtung, womit sie von den eben besagten Herren mit samt ihrer alten Philosophie belegt werden.
Wenn nun die alte Meinung, daß ein Mann gar gemächlich von seiner Tugend allein leben könne, das ist, als was sie die eben erwähnten weisen Männer erkannt zu haben vorgeben, nämlich ein erwiesener Irrtum: so ist, wie ich besorge, der Satz einiger Romanschreiber nicht weniger falsch, daß ein Mensch ohne weiteres von der Liebe leben könne; denn so eine süße und vortreffliche Nahrung diese auch einigen von unsern Sinnen und Begierden gewähren mag, so ist es doch ausgemacht, daß sie den übrigen gar keine gibt. Diejenigen also, welche ein zu unumschränktes Vertrauen auf jene Schriftsteller gesetzt, haben durch eine leidige Erfahrung ihren Irrtum eingesehen, wenn es zu spät war, und [64] haben gefunden, daß Liebe ebensowenig fähig war, den Hunger zu stillen, als eine Rose fähig ist, das Gehör zu ergötzen, oder eine Geige, dem Geruche eine angenehme Empfindung zu geben.
Ungeachtet also aller Leckerbissen, welche ihm die Liebe vorgesetzt hatte, die Hoffnung nämlich, seine Sophie auf der Maskerade zu sehen, an welcher er, so ungegründet seine Einbildungen auch sein mochten, sich den ganzen Tag erlabt hatte, neigte es sich kaum gegen Abend, als Herr Jones anfing, nach etwas Nahrung von gröberer Art zu schmachten. Rebhuhn entdeckte dies aus dem bloßen Ansehn und nahm daher Anlaß, entfernte Anspielungen auf die Banknote zu machen, und als diese mit Unwillen abgewiesen wurden, raffte er so viel Herzhaftigkeit zusammen, abermals der Heimkehr zu Herrn Alwerth zu erwähnen.
»Rebhuhn,« sagte Jones, »Er kann meine Umstände nicht für verzweifelter halten, als ich selbst, und ich fange an, es herzlich zu bereuen, daß ich Ihn nicht verhindert habe, einen Ort zu verlassen, wo Er Sein Gewerbe trieb, und mir zu folgen. Inzwischen bestehe ich jetzt darauf, daß Er wieder heimgehe, und für Seine Kosten und Mühe, die Er sich meinetwegen so gütigerweise gemacht hat, ersuche ich Ihn, alle die Kleider anzunehmen und als Sein Eigentum zu behalten, die ich in Seiner Verwahrung zurückgelassen habe. Es thut mir leid, daß ich Ihm meine Erkenntlichkeit auf keine andere Art bezeigen kann.«
Er sprach diese Worte mit einem so rührenden Nachdruck, daß Rebhuhn, unter dessen Fehler man kein böses und hartes Herz rechnen konnte, in helle Thränen ausbrach, und nachdem er ihm zugeschworen hatte, er wolle ihn in seinem Kummer nicht verlassen, legte er's äußerst ernsthaft
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