Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
leicht Herr Jones, in was für einer Achtung ein Wohlthäter bei mir stehen müsse, dem ich die Unterhaltung meines eignen und des Lebens meiner teuren Kinder zu verdanken habe, um derentwillen allein mein Leben noch einigen Wert für mich hat. – Halten Sie mich also nicht für zudringlich und anmaßend, Herr Jones (Sie sehen ja wohl ein, daß ich einen Mann hochschätzen muß, auf den Herr von Alwerth einen solchen Wert setzt), wenn ich Sie bitte, keinen fernern Umgang mit solchen unwürdigen Weibern zu unterhalten. Sie sind ein junger Mann und kennen ihre Ränke nicht halb. Legen Sie mir das nicht zum argen aus, was ich Ihnen in Ansehung meines Hauses gesagt habe; Sie sehen es nach Ihrem Verstande wohl ein, wie nachteilig es für meine armen Mädchen werden müßte. Ueberdem muß es Ihnen ja bekannt sein, daß Herr von Alwerth mir es niemals vergeben würde, wenn ich zu solchen Sachen durch die Finger sehen wollte, und besonders noch bei Ihnen.«
»Auf mein Wort, Madame,« sagte Jones, »Sie bedürfen bei mir nicht der mindesten Entschuldigung. Ich nehme auch nicht das geringste übel von alle dem, was Sie mir gesagt haben; weil aber niemand mehr Ehrerbietung für Herrn Alwerth haben kann, als ich, so erlauben Sie mir, daß ich Ihnen einen Irrtum benehme, der vielleicht seiner Ehre ein wenig nachteilig sein könnte. – Ich versichre Sie also, ich bin gar nicht mit ihm verwandt.«
»Ach, lieber Herr Jones,« antwortete sie, »ich weiß, daß Sie das nicht sind. Ich weiß recht gut, wer Sie sind, denn Herr von Alwerth hat mir alles gesagt. Aber, ich versichre Sie, wären Sie auch zwanzigmal sein Sohn, er hätte nicht mit mehr Liebe von Ihnen sprechen können, als er sehr oft in meiner Gegenwart von Ihnen gesprochen hat. Sie haben keine Ursache, Herr Jones, sich wegen dessen zu schämen, was Sie sind; glauben Sie mir, kein vernünftiger Mensch wird sie deswegen weniger hochschätzen. Nein, lieber Herr Jones, das Wort ›niedrige Geburt‹, sagt Unsinn, wie mein teurer, lieber, seliger Mann zu sagen pflegte, ausgenommen, [109] wenn man es auf die Eltern anwendet, denn auf die Kinder kann niemals eine wirkliche Schande von einer Handlung fallen, an der sie ganz unschuldig waren.«
Hierbei holte Jones einen tiefen Seufzer und sagte darauf: »Weil ich sehe, Madame, daß Sie mich wirklich kennen, und weil Herr Alwerth so gütig gewesen ist, mit Ihnen von mir zu sprechen, und Sie auch so offenherzig über Ihre eignen Angelegenheiten gegen mich gewesen sind, so will ich Sie auch mit noch einigen Umständen bekannt machen, die mich selbst betreffen.« Und da nun Madame Miller ein großes Verlangen und viel Neugier bezeigte, zu hören, so fing er an und erzählte seine eigene Geschichte, ohne aber Sophiens Namen nur mit einer Silbe zu erwähnen.
Unter redlichen Gemütern besteht eine Art von Sympathie, vermittelst welcher sie einander leicht Glauben schenken. Madame Miller hielt alles, was Herr Jones ihr sagte, für wahr und bezeigte ihm ihr Mitleid und Bedauern. Sie hub schon an ihre Betrachtungen über die Geschichte anzustellen; aber Jones unterbrach sie. Denn, weil schon die Stunde der Zusammenkunft herannahte, begann er um die Erlaubnis eines zweiten Besuchs von der Dame zu handeln, welcher, nach seinem Versprechen, der letzte in ihrem Hause sein sollte; wobei er schwur, sie sei von sehr hohem Stande, und daß nichts unter ihnen vorgehn sollte, was nicht höchst unschuldig wäre. Und meinerseits glaube ich fest, daß er sein Wort zu halten gesonnen war.
Madame Miller ließ sich endlich überreden, und Jones ging hinauf nach seinem Zimmer, woselbst er bis zwölf Uhr allein saß; wer aber nicht kam, war Frau von Bellaston.
Weil wir gesagt haben, daß diese Dame eine große Liebe zum Herrn Jones trug, und es auch in der That sichtbar gewesen sein muß, daß es sich wirklich so verhielt, so mag sich der Leser vielleicht über ihre erste Versäumung ihrer Zusage verwundern, da sie doch nicht anders wissen konnte, als er wäre krank – eine Zeit, wo die Freundschaft solche Besuche am nötigsten zu machen scheint. Diese Aufführung können vielleicht einige an der Dame als unnatürlich tadeln; das ist aber nicht unsre Schuld; unsre Sache ist bloß der Wahrheit gemäß zu erzählen.
Sechstes Kapitel.
Enthält einen Auftritt, von dem wir nicht zweifeln, er werde unsern Lesern ein wenig ans Herz greifen.
Herr Jones schloß in der ersten Hälfte der Nacht kein Auge; nicht deswegen, als ob er darüber unruhig gewesen
Weitere Kostenlose Bücher