Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
lassen? mir selbst fast alle Bequemlichkeiten des Lebens versagt, um nur ein wenig für sie zusammenzusparen, daß ich eine, oder gar beide auf diese Weise verlieren soll?« – »In Wahrheit, Madame,« sagte Jones mit Thränen in den Augen, »ich bedaure Sie vom Grund meiner Seele.« – »O, lieber Herr Jones,« antwortete sie, »selbst Sie, ob ich gleich die Güte Ihres Herzens kenne, vermögen sich nicht vorzustellen was ich leide. Das beste, das liebevollste, das gehorsamste Kind! O, meine arme Nette, der Liebling meiner Seele, die Freude meiner Augen der Stolz meines Herzens! Ach, nur leider gar zu sehr mein Stolz! Denn diesen thörichten, ehrgeizigen Hoffnungen, die ich auf ihre Schönheit gründete, ihnen habe ich ihr Verderben zu danken. Leider sah ich mit Vergnügen [113] das Wohlgefallen, welches dieser junge Mensch an ihr fand! Ich hielt es für eine redliche Zuneigung und schmeichelte meiner närrischen Eitelkeit mit dem Gedanken, sie an einen Mann verheiratet zu sehen, der soweit an Stand und Vermögen über sie erhaben war. Und wohl tausendmal hat er in meiner Gegenwart, und selbst auch oft in der Ihrigen, sich Mühe gegeben, durch die gefühlvollsten Ausdrücke von uneigennütziger Liebe diese Hoffnungen zu erregen und zu bestärken, und immer richtete er solche Reden an mein armes Mädchen, und ich sowohl als sie hielten es treuherzig für Ernst. Wie konnte ich auch glauben, daß es bloß Schlingen wären, die er der Unschuld meines Kindes legte, und Fallstricke, uns alle ins Verderben zu ziehen? –« Bei diesen Worten kam die kleine Betti ins Zimmer gerannt und schrie: »Ach liebste Mama, um Gotteswillen! kommen Sie doch geschwind zur Schwester! Sie hat schon wieder einen Anfall und Kousine kann sie nicht mehr halten!« Madame Miller verfügte sich augenblicklich nach dem Hinterzimmer, befahl aber vorher der Betti, beim Herrn Jones zu bleiben und bat ihn, sie doch ein paar Minuten zu unterhalten, wobei sie mit höchstrührender Stimme sagte: »Gütiger Gott, laß mich doch wenigstens eins von meinen Kindern behalten!«
Jones that, um ihr Begehren zu erfüllen, alles was er konnte, um das kleine Mädchen zufriedenzusprechen, ob er gleich im Grunde durch der Madame Miller Geschichte selbst sehr weichmütig gemacht war. Er sagte zu ihr, ihre Schwester würde bald wieder recht gesund werden, sie würde, wenn sie immer so betrübt wäre und weinte, nicht nur ihre Schwester noch schlimmer, sondern auch ihre Mutter dazu krank machen. – »O, Herr Jones,« sagte sie, »ich will gerne nichts thun, das sie krank macht, recht gerne nichts thun! Ich will lieber mein Herz zerplatzen lassen, als daß sie mich sollen weinen sehen. – Aber meine arme Schwester kann es ja nicht sehen, daß ich weine. Ich bin nur bange, sie wird nicht wieder soweit kommen, daß sie mich wieder weinen sehen kann. Gewißlich, Herr Jones, ich kann Schwester nicht missen, gewißlich, ich kann es nicht. Und denn noch dazu meine arme Mutter, was wird denn aus der werden! – Sie sagt, sie will auch sterben, und dann ließe sie mich ganz allein. Aber das sollen Sie sehen, allein will ich nicht nachbleiben, gewißlich nicht.« – »Und fürchten Sie sich denn nicht vorm Sterben, meine kleine Bettchen?« sagte Jones. – »O ja!« antwortete sie, »mir ist immer angst gewesen vorm Sterben, weil ich meine Mutter und meine Schwester hätte verlassen müssen, aber ich fürchte mich nicht, mit hinzugehen wo sie hingehen, denn wir haben uns so lieb!«
Jones empfand ein solches Vergnügen über diese Antwort, daß er das Kind herzlich küßte, und bald darauf kam die Mutter wieder herein und sagte, sie danke dem Himmel, Nette sei wieder zu ihren Sinnen gekommen. »Und nun, Bettchen,« sagte sie, »kannst du wieder hineingehen, denn deine Schwester ist besser und verlangt nach dir.« Hiernächst wendete sie sich an Jones und machte von neuem Entschuldigungen, daß sie ihn um das Frühstück gebracht hätte.
[114] »Ich hoffe Madame,« sagte Jones, »ich werde ein viel schmackhafteres Mahl halten als Sie mir hätten vorsetzen können; das, versichre ich Sie, wird geschehen, wenn ich dieser kleinen, durch Liebe verbundenen Familie irgend einen Dienst leisten kann. Was aber immer der Erfolg meiner Unternehmungen sein mag, so bin ich entschlossen, den Versuch zu machen. Ich müßte mich gar sehr betrügen, wenn nicht Herr Nachtigall, ungeachtet alles dessen was vorgegangen ist, ebensowohl im Grunde sehr viele Güte des Herzens als eine sehr
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