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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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Zahl derer, welche unter ihren Händen besser werden, gegen die Zahl ihrer Märtyrer aufstellen könnte, die erste fast größer sein würde, als die letzte. Ja einige Aerzte sind in diesem Punkt so vorsichtig, daß sie, um alle Möglichkeit den Patienten zu töten, zu vermeiden, sich jeder medizinischen Kurart enthalten und nichts anders verschreiben, als was weder nutzen noch schaden kann. Von diesen habe ich einige es mit einer sehr wichtigen Miene als eine Maxime sagen gehört, man müsse die Natur in ihren Wirkungen nicht stören, und der Arzt wäre gleichsam ein Zuschauer, der ihr auf die Schultern klopfte, um sie aufzumuntern, wenn sie's gut machte.
    So wenig Vergnügen fanden also unsere Doktoren an Toten, daß sie den verblichenen Körper nach einem einzigen bezahlten Besuche verließen; bei der lebenden Patientin aber nicht so unfreundlich waren, über deren Kasum sie augenblicklich einig wurden und großen Fleißes sich zum Verschreiben anschickten.
    Ob, nachdem die Dame zuerst ihre Aerzte überredet hatte, zu glauben, sie sei krank, sie selbige hinwieder überredeten, sich selbst für krank zu halten, das will ich nicht entscheiden; aber sie brachte einen ganzen Monat mit allen Dekorationen der Krankheit hin, während welcher Zeit sie von den Aerzten besucht, von einer Krankenwärterin gepflegt, und von allen ihren Bekannten täglich nach ihrem Befinden gefragt wurde.
    Nachdem endlich die anständige Zeit für Krankheit und übermäßigen Kummer verstrichen war, entließ man die Aerzte und die Dame fing wieder an, Gesellschaft zu sehen, und man ward keiner andern Veränderung durch das, was sie trug, an ihr gewahr, als die Farbe der Trauer, in welche sie ihre Person und ihre Mienen gekleidet hatte.
    Der Kapitän war nunmehr begraben und mochte vielleicht schon einen ziemlichen Weg zur Vergessenheit zurückgelegt gehabt haben, hätte nicht die Freundschaft des Herrn Alwerth dafür gesorgt, sein Andenken durch folgendes Epitaphium zu erhalten, welches von einem Manne von großem Genie und großer Wahrheitsliebe, und welcher dabei den Kapitän recht gut kannte, verfertigt wurde.
[88]
     
    HIER RUHEN IN GOTT
    UND IN ERWARTUNG EINER
    FROEHLICHEN AUFERSTEHUNG
    DIE GEBEINE DES
    HOCHWOHLGEBOHRENEN KAPITAIN
     
    HERRN JOHN BLIFIL.
     
    LONDON
    WAR STOLZ AUF SEINE GEBURT,
    OXFORD
    AUF SEINE ERZIEHUNG.
    SEINE GEISTESGABEN
    WAREN EINE EHRE SEINES STANDES
    UND SEINER NATION,
    SO WIE SEIN LEBEN DER RELIGION
    UND DER MENSCHLICHEN NATUR.
    ER WAR EIN PFLICHTVOLLER SOHN,
    EIN ZAERTLICHER GATTE,
    EIN LIEBEVOLLER VATER,
    EIN AUFRICHTIGER FREUND,
    EIN FROMMER CHRIST,
    UND EIN WOHLTHAETIGER MANN.
    SEINE UNTROESTLICHE WITTWE
    SETZTE DIESEN STEIN
    ZUM ANDENKEN
    SEINER TUGENDEN
    UND
    IHRER EWIGEN LIEBE.

[89] Drittes Buch.
    Worin die merkwürdigsten Begebenheiten enthalten sind, welche in der Familie des Herrn Alwerth von der Zeit an vorfielen, da Tom Jones sein vierzehntes Jahr erreicht hatte, bis dahin, daß er neunzehn alt wurde. Aus diesem Buche kann der Leser einige Fingerzeige behufs der Kinderzucht aufsammeln.
     
    Erstes Kapitel.
    Enthält wenig oder nichts.
     
    Der Leser wird so gefällig sein, sich zu erinnern, daß wir ihm zu Anfang des zweiten Buches dieser Geschichte einen Wink von unserem Vorsatze gegeben haben, daß wir verschiedene lange Zeitperioden, in welchen nichts vorgefallen, das in unserer Chronika aufgezeichnet zu werden verdiente, völlig überschlagen würden. Bei dieser Verfahrungsart ziehen wir nicht nur unsere eigene Würde und Bequemlichkeit zu Rate, sondern auch den Nutzen und Vorteil des Lesers, denn überdem, daß wir ihn dadurch abhalten, seine Zeit beim Lesen solcher Dinge wegzuwerfen, die ihm weder Nutzen noch Vergnügen schaffen können, geben wir ihm bei allen solchen Lücken eine Gelegenheit, seinen erstaunlichen Scharfsinn zur Ausfüllung dieser leeren Zeiträume mit seinen eigenen Konjekturen anzuwenden, und wir sind besorgt gewesen, ihn in den vorhergehenden Blättern zu diesem Unternehmen tüchtig zu machen.
    Wo ist zum Exempel der Leser, welcher nicht wisse, daß Herr Alwerth über den Verlust seines Freundes jene Bewegungen der Traurigkeit fühlte, welche bei solchen Gelegenheiten alle Menschen ergreift, deren Herzen nicht aus Kieselsteinen, oder deren Köpfe nicht aus ebenso harter Materie gemacht sind? Ferner, welcher Leser weiß nicht, daß Philosophie und Religion mit der Zeit die Traurigkeit mäßigt und endlich gar hinwegnimmt? Die erste dieser beiden, indem sie die Thorheit

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