Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
Vom Netzwerk:
Ohnmacht.
    Das Zimmer war bald voller Bedienten, deren einige mit der besuchenden Dame beschäftigt waren, der trostlosen Witwe Beistand zu leisten, und die übrigen mit Herrn Alwerth halfen einander, den Kapitän in ein gewärmtes Bett zu tragen, wo jeder Versuch angewendet wurde, ihn wieder ins Leben zu bringen.
    Und wie gerne sagten wir unserm Leser die Nachricht, daß es beiden Gewerkschaften auf gleiche Weise geglückt sei. Denn jenen, welche die Sorge für die Dame übernahmen, gelang es so gut, daß nachdem die Ohnmacht eine anständige Weile gewährt hatte, sie solche zu ihrer großen Zufriedenheit wieder ins Leben kehren sahen. Bei dem Kapitän aber waren alle Versuche mit Aderlassen, Reiben, Einspritzen u.s.w. ohne Wirkung. Der Tod als unentbehrlicher Richter hatte sein Urteil über ihn gesprochen und wollte ihn mit keinem Aufschub begnadigen, obgleich zwei gelehrte Doktoren, welche geholt waren und denen man gleich bei ihrem Eintritt mit dem Honorar die Hand füllte, seine Verteidiger waren.
    Diese zwei Doktoren, welche wir, um alle hämische Deutungen zu vermeiden, durch die Namen Doktor Y. und Doktor Z. unterscheiden wollen, fühlten dem Patienten alsobald den Puls; Doktor Y. nämlich am rechten und Doktor Z. am linken Arme. Beide waren einstimmig darüber, er sei tot, ohne Widerrede. Ueber die Krankheit oder die eigentliche Ursache des Todes aber waren sie gar nicht einig. Doktor Y. war der Meinung, es sei eine Apoplexie, Doktor Z. aber, es sei eine Epilepsie gewesen.
    Hierüber entstund ein wissenschaftlicher Streit unter diesen gelehrten Männern, worin jeder die Gründe seiner Meinung gegen den andern behauptete. Diese waren nun von so gleicher Kraft, daß sie jeden Doktor in seiner eigenen Meinung bestärkten und auf seinen Antagonisten nicht den geringsten Eindruck machten.
    [86] Die Wahrheit zu sagen, fast jeder Arzt hat so seine Favoritkrankheit, der er alle Siege über die menschliche Natur zuschreibt. Das Podagra, die Gicht, der Stein, Gries und Auszehrung haben alle ihren eigenen Patron in der medizinischen Fakultät und keine mehr als das Nervenfieber oder das
Fieber der Lebensgeister.
Und hieraus können wir die mancherlei widersprechenden Meinungen über die Ursachen des Todes eines Patienten herleiten, welche zu weilen unter den gelehrtesten Kollegen obwalten und worüber sich solche Menschen höchlich zu wundern pflegen, welche von der Thatsache nicht unterrichtet sind, die wir oben festgesetzt haben.
    Der Leser mag sich vielleicht wundern, daß die beiden gelehrten Herrn Aerzte, anstatt sich zu bemühen, den Verblichenen wieder zum Leben zu bringen, alsobald in einen Streit über die Ursache seines Todes verfielen; in der That aber waren alle solche Versuche vor ihrer Ankunft bereits angestellt worden. Denn man hatte den Kapitän in ein gewärmtes Bette gebracht, man hatte ihm die Adern geöffnet, hatte ihm die Schläfe und die Fußsohlen gerieben und ihm alle Arten von starkem Spiritus vor die Nase gehalten und in den Mund gegossen.
    Da also die Doktoren fanden, daß man ihnen in allen den Dingen, die sie hätten verordnen können, zuvorgekommen wäre, waren sie verlegen, wie sie den Teil der Zeit hinbringen sollten, den sie des Gebrauchs und des Honorars wegen anständigerweise zu verweilen pflegten und waren deßhalb genötigt, eine oder die andere Materie zum Gespräch hervorzusuchen, und was konnte sich für eine schicklichere Materie darbieten, als die oben erwähnte?
    Unsere Aerzte waren im Begriff, sich zu beurlauben, als Herr Alwerth, der nun den Kapitän aufgegeben und sich in den Willen Gottes gefügt hatte, nach seiner Schwester zu fragen begann und die Aerzte bat, solche noch vor ihrem Weggehen zu besuchen.
    Die Dame hatte sich jetzt von ihrer Ohnmacht erholt und befand sich, um mich einer gewöhnlichen Redensart zu bedienen, so wohl, als man es bei ihren Umständen erwarten konnte. Die Doktoren also, nachdem alle gebührlichen Zeremonien vorläufig abgethan waren, machten den verlangten Besuch und bemächtigten sich jeder einer ihrer Hände, wie sie's vorher bei dem Leichnam gemacht hatten.
    Der Fall der Witwe war von den Umständen ihres Gemahls so weit entfernt, als die beiden Pole von Süden und Norden. Denn sowie bei ihm keine Arznei mehr anschlagen konnte, so war bei ihr wirklich ganz und gar keine nötig.
    Ich kenne nichts Ungerechteres, als die gemeine Meinung, welche [87] die Aerzte irrigerweise als Freunde des Todes vorstellt! Ich glaube im Gegenteil, wenn man die

Weitere Kostenlose Bücher