Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
wieder mit hinunternehmen, weil sie nicht essen möchte, Jakob aber bat, sie möchte doch nur ein wenig kosten, und vorzüglich rühmte er ihr die Eier, womit, wie er sagte, die Poularde gefüllt wäre.
Diese ganze Zeit über wartete der Junker an der Thüre; indessen stand Jakob bei seinem Herrn in großen Gunsten, weil seine Verrichtungen in das wichtigste Fach einschlugen, in die Jagd nämlich, und daher war er gewohnt, sich manche Freiheit herauszunehmen. Er hatte sich dazu gedrängt, das Essen hinaufzutragen, weil er, wie er sagte, ein großes Verlangen trüge, seine junge Herrschaft einmal wiederzusehen, er machte sich sonach kein Gewissen daraus, seinen Herrn über zehn Minuten an der Thüre warten zu lassen, die über die Komplimente zwischen ihm und Sophie hingingen, worüber er bloß einen freundlichen Ausputzer an der Thüre erhielt, als er wieder herauskam.
Hühner-, Fasanen- und Kibitzeier und dergleichen waren, wie Jakob wohl wußte, Sophiens Lieblingsessen. Es war deshalb kein [183] Wunder, daß dieser gutmütige Mensch besorgt gewesen war, ihr diese Art von Leibgericht zu einer Zeit zu verschaffen, da alles Gesinde im Hause fürchtete, sie würde sich zu Tode hungern, denn in den letzten vierzig Stunden hatte sie kaum einen einzigen Bissen zu sich genommen.
Obgleich der Gram nicht auf alle Menschen eben die Wirkung thut, wie er gewöhnlich auf eine Witwe zu thun pflegt, deren Appetit er oft mehr schärft als die zehrendste Land- und Seeluft, so muß doch am Ende, man mag auch dagegen sagen was man will, der empfindsamste Kummer einmal essen. Und selbst Sophie begann nach einigem wenigen Bedenken die Poularde zu zerlegen, welche sie wirklich so voller Eier fand, als Jakob versichert hatte.
War ihr aber dieses nicht unangenehm, so enthielt sie auch noch etwas, was einer königlichen Akademie der Wissenschaften eine weit größere Freude gemacht haben würde, denn wenn schon ein Vogel mit drei Beinen eine so unschätzbare Seltenheit ist, da doch die Zeit dergleichen vielleicht tausend hervorgebracht hat; was für einen Wert muß denn ein Vogel haben, welcher allen Gesetzen der animalischen Oekonomie so schnurstracks widerspricht, daß er in seinen Eingeweiden einen Brief enthält! Ovid erzählt von einer Blume, in welche Hyacinthus verwandelt wurde, auf deren Blättern Buchstaben befindlich sind, welche Virgil der königlichen Akademie der Wissenschaften seiner Zeit als ein Wunderwerk empfahl, aber kein Zeitalter und keine Nation hat in der Geschichte einen Vogel aufzuweisen, in dessen Eingeweiden man einen Brief gefunden hätte.
Allein obgleich eine Seltenheit von dieser Art alle Akademien der Wissenschaften in ganz Europa in Bewegung gesetzt haben möchte, ihre vielleicht unnützen Untersuchungen anzustellen, so wird doch unser Leser durch bloße Erinnerung an das Gespräch, das am Ende des vorigen Buchs zwischen den Herren Jones und Rebhuhn vorfiel, sehr leicht erraten, woher dieser Brief kam und wie er seinen Weg in diese Poularde gefunden habe.
Sophie, ungeachtet ihrer langen Fasten und ungeachtet ihr liebstes Gericht vor ihr auf dem Tische stand, ersah nicht so bald den Brief, als sie ihn eilig erhaschte, aufriß und las wie folgt:
»Wüßte ich nicht recht gut, mein teuerstes Fräulein, an wen ich die Ehre habe zu schreiben, so würde ich streben, was für Mühe mich's auch kosten möchte, den entsetzlichen Zustand zu schildern, in welchen meine Seele durch die Nachricht versetzt worden, die mir Ihre Kammerjungfer hinterbracht hat. Aber da nur allein die zärtlichste Seele sich einen richtigen Begriff von den Qualen machen kann, welche eine wahrhaft zärtliche Seele zu fühlen vermag, so kann meine Sophie, welche vom Himmel eine höchst zärtliche Seele erhielt, sich leicht und hinlänglich vorstellen, was ihr Jones bei dieser so traurigen Veranlassung empfunden haben muß. Ist noch wohl irgend ein Umstand in der Welt, welcher meine Schmerzen vermehren kann, wenn ich von Widerwärtigkeiten höre, die Sie betroffen haben? Ja gewiß gibt es einen einzigen, und auch der hat mich wie ein Fluch befallen. Vielleicht erweise ich mir hier [184] selbst zu viel Ehre, aber kein Mensch auf Erden wird mir eine Ehre beneiden, die mir so außerordentlich teuer zu stehen kommt. Verzeihen Sie mir diese Anmaßung und verzeihen Sie mir die noch größere, wenn ich mich unterfange zu fragen, ob mein Rat, mein Beistand, meine Gegenwart, meine Entfernung, mein Tod oder meine Qualen Ihnen die geringste
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