Tom Sawyers Abenteuer und Streiche
zündete sie an, hüllte sie fest in das Handtuch und die beiden Abenteurer tasteten sich durch die Finsternis nach dem Wirtshaus hin. Huck stand Schildwache und Tom schlich sich in den dunklen Gang hinein. Nun kam eine Pause unerträglich heimlichen, angstvollen Wartens, die auf Hucks Gemüt lastete, gleich einem erdrückenden Berge. Er begann sich heiß nach einem wieder auftauchenden Strahl der Laterne zu sehnen, der ihm zeigte, daß Tom noch am Leben sei.
Stunden schienen verflossen, seit Tom verschwunden war. Gewiß hatte er irgendwo das Bewußtsein verloren, war am Ende gar tot, vielleicht war ihm das Herz gebrochen vor Schreck und Aufregung. In seiner Angst rückte Huck dem Gäßchen näher und näher, den Kopf voll schrecklicher Befürchtungen und jeden Augenblick auf eine Katastrophe gefaßt, die ihm den Atem vollends benehmen würde. Viel Atem zum Wegnehmen blieb nicht übrig; er war kaum imstande, denselben fingerhutvollweise einzuziehen, und sein Herz mußte bei dem Tempo, in dem es schlug, baldigst ganz den Dienst versagen. Plötzlich blitzte ein Lichtstrahl auf, und Tom schoß keuchend an ihm vorüber.
»Fort,« schrie er, »fort, wenn dir dein Leben lieb ist.«
Ein Wiederholen der Warnung war unnötig, einmal genügte. Huck rannte mit Riesenschritten davon, als ob es hinter ihm brenne, Tom hinterdrein. So stürzten die Jungen unaufhaltsam davon, bis sie den Schuppen eines alten, unbenutzten Schlachthauses erreichten, am unteren Ende des Ortes. Gerade, als sie unter dies Obdach geschlüpft waren, brach das Gewitter los und der Regen strömte nieder. Nachdem Tom zu Atem gekommen war, stöhnte er:
»Ach, Huck, 's war gräßlich. Ich probierte erst zwei von den Schlüsseln, so leise ich konnte, die machten aber 'n solchen Lärm, daß mir übel und weh wurde vor Angst. Ich konnte sie auch gar nicht im Schloß umdrehen. Dann, ohne selber zu wissen, was ich tu, faß ich nach der Klinke, drücke und – auf springt die Tür. Sie war gar nicht verschlossen gewesen! Ich hinein, werf das Tuch von der Laterne und – Heiliger Gott!«
»Was – was war's, Tom?«
»Huck! Ich trat fast auf 'ne Hand, und wie ich näher hinseh, ist's dem Indianer-Joe seine.«
»Puh!« stöhnte Huck wortlos.
»Weiß Gott! Da lag er am Boden und schlief ganz fest, mit dem alten Pflaster über dem einen Aug und weit ausgestreckten Armen.«
»Um alles in der Welt, sprich, – was hast du denn da gemacht? Ist er aufgewacht?«
»Nee, der rührt sich nicht. Er muß betrunken gewesen sein. Ich greif nur flink nach meinem Tuch und stürz davon.«
»Ich hätt' nicht mehr an das Tuch gedacht, das wett ich.«
»Na, aber ich! Tante Polly hätt' mir 'nen feinen Tanz aufgespielt, wenn ich's verloren hätt'!«
»Hör du, Tom, hast du die Kiste gesehen?«
»Huck, nach der hab ich mich gar nicht umgeschaut, Hab keine Kiste und hab auch kein Kreuz gesehen. Nichts hab ich gesehen, als 'ne Flasche und 'nen Zinnbecher am Boden neben dem Indianer-Joe! Ja, zwei Fäßchen und viele Flaschen hab ich noch außerdem im Zimmer gesehen. Weißt du jetzt, was in dem Zimmer spukt?«
»Wieso?«
»Dickkopf! Schnaps spukt drin, Schnaps! Und der Wirt dort gehört zum Mäßigkeitsverein! Ob wohl alle die Mäßigkeitsvereinler so 'n Spukzimmer haben? He, Huck?«
»Wird wohl so sein! Wer hätt aber so was gedacht? Sag mal, du, Tom, war denn das nicht jetzt grad die richt'ge Zeit, um die Kiste auszuführen? Wenn der Indianer-Joe doch betrunken ist.«
»Ei, so versuch's doch!«
Huck schauderte.
»Nee, lieber nicht!«
»Ich auch lieber nicht, Huck, Nur eine Flasche leer neben dem Kerl, das ist nicht genug. Ja, wenn's drei gewesen wären, dann ließe sich weiter darüber reden!«
Eine lange Pause des Nachdenkens folgte. Dann sagte Tom:
»Paß mal auf, Huck. Ich mein, wir sollten das Ding gar nicht mehr probieren, bis wir sicher wissen, daß der Joe nicht drin ist. 's ist zu gruselig! Wir passen jede Nacht auf, und einmal muß er doch 'raus aus seinem Loch, dann wollen wir die Kiste schon kriegen, schneller als der Blitz.«
»Mir recht. Ich will jede Nacht wachen, die ganze Nacht durch, wenn du nur den Rest besorgen willst.«
»Gut, wollen's so machen. Du brauchst dann nur zu kommen und vor unserem Haus zu miauen, und wenn ich schlaf, wirfst du mir 'ne Handvoll Kies ans Fenster, das wird mich schon wachkriegen!«
»Topp, 's gilt!«
»Jetzt ist's da draußen auch besser geworden, Huck, der Sturm hat aufgehört und ich muß heim. 's muß schon bald
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