Tom Sawyers Abenteuer und Streiche
deren glänzende Gastfreundschaft die Wonne aller bildete, die sie je genießen durften, bewies sich als allzu verlockender Köder. Dieser und Toms Beredsamkeit trugen denn auch den Sieg davon und es wurde beschlossen, gegen niemanden etwas über das Programm für die Nacht verlauten zu lassen.
Auf einmal fiel es Tom ein, daß Huck am Ende gerade in derselben Nacht kommen könne, um ihm das verabredete Zeichen zu geben. Dieser Gedanke trübte seine freudigen Erwartungen um ein beträchtliches, aber er konnte sich doch nicht entschließen, den Plan mit Frau Douglas aufzugeben. Warum sollte er auch? Er dachte bei sich, in der Nacht zuvor sei ja auch alles ruhig geblieben, warum sollte das Signal gerade diese Nacht ertönen? Das sichere Vergnügen, das er sich vom Abend versprach, überwog bei weitem die unsichere Aussicht auf den Schatz, und recht, wie ein Junge, beschloß er, der stärkeren Neigung nachzugeben und sich für den Rest des Tages jeden Gedanken an die Geldkiste aus dem Kopf zu schlagen.
Drei Meilen unterhalb der Stadt landete die Fähre in einer rings mit Wald umstandenen Bucht. Die fröhliche Gesellschaft schwärmte aus dem Boote, und bald tönten die Wälder und felsigen Höhen von Geschrei und Gelächter wieder. Alle die verschiedenen Methoden, sich heiß und müde zu machen, wurden der Reihe nach durchgegangen, bis allmählich einer nach dem anderen von den Herumschwärmenden sich im Lager einstellte, ausgerüstet mit dem nötigen Appetit, und nun die Vertilgung der mitgebrachten leckeren Sachen beginnen konnte. Nach der Mahlzeit folgte ein erquickendes Ruhe- und Plauderstündchen im Schatten der breitästigen Eichen, bis dann jemand rief:
»Wer kommt mit zur Höhle?«
Alle waren sofort bereit, ganze Bündel von Kerzen wurden ausgekramt und es folgte ein allgemeines Erklettern des Hügels. Hoch oben lag die Mündung der Höhle, eine schwarze, gähnende Öffnung, geformt wie der lateinische Buchstabe A . Die massive, eichene Tür stand weit offen. Im Innern sah man zunächst eine schmale, kleine Kammer, kalt wie ein Eiskeller, von der Natur mit festen Kalkmauern umgeben, die viel Feuchtigkeit ausschwitzten. Etwas romantisch Geheimnisvolles lag darin, von diesem finsteren kalten Orte aus hineinzuschauen in das sonnbeglänzte grüne Land. Der Zauber aber, der die Geister zuerst gefangenhielt, verlor bald seinen Reiz und das Herumtollen begann von neuem. Sobald irgend jemand versuchte, eine Kerze anzuzünden, stürzte sich alles darauflos und es entspann sich ein Kampf gegen den tapferen Verteidiger. Das Licht wurde ihm schließlich entrissen, zu Boden geworfen und ausgelöscht, worauf eine neue Hetzjagd mit demselben Ausgang folgte, Na aber jedes Ding sein Ende hat, so ordnete sich allmählich der Zug und bewegte sich vorsichtig den steilen Abstieg des Hauptganges der Höhle hinunter. Mit düsterem, unruhigem Schein bestrahlte die flackernde Reihe der Lichter die mächtigen Felswände zu beiden Seiten, fast bis hinauf zu dem Punkt, wo sie in einer Höhe von etwa sechzig Fuß zusammenstießen. Dieser Hauptgang war nicht mehr als acht oder zehn Fuß breit. Alle paar Schritte zweigten andere hochgewölbte und noch engere Felsspalten nach beiden Seiten ab, denn die Mc. Douglashöhle war eigentlich nur ein ungeheures Labyrinth gewundener Gänge, die ineinander- und wieder auseinanderliefen und nirgends ein Ziel oder Ende hatten. Es hieß, daß man tage- und nächtelang durch dies krause, verschlungene Gewirr von Spalten und Klüften wandern könne, ohne jemals ein Ende der Höhle zu finden; daß man hinunter und hinunter, tiefer und immer tiefer bis ins Innerste der Erde steigen könne und doch immer dasselbe finden würde – Labyrinth unter Labyrinth in endloser Folge. Keiner kannte die Höhle ganz, das war ein Ding der Unmöglichkeit. Die meisten der jungen Leute kannten einen Teil derselben, und für gewöhnlich wagte sich niemand über diesen allgemein begangenen Teil hinaus. Tom Sawyer kannte von der Höhle nicht mehr als die anderen.
Der ganze Zug bewegte sich noch immer geschlossen den Haupteingang entlang, allmählich aber begannen sich Gruppen und Paare zu lösen und in den Seitengängen zu verschwinden. Hier flogen sie lautlos dahin durch die unheimlichen Gänge, uneingestandenen Grausens voll, und überraschten und erschreckten andere an Punkten, wo die einzelnen Gänge sich kreuzten oder auch zusammenliefen. Halbe Stunden lang konnte man sich so meiden oder finden, ohne sich jemals aus
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