Tom Thorne 04 - Blutzeichen
hoffe, das sei nicht der Grund, warum Hendricks woanders schlafe.
»Was wird Ryan mit ihnen machen?«, fragte Kitson.
Sie waren beide wieder in ihrem Büro und arbeiteten sich durch ihren Papierberg, während Tughan und Brigstocke am Ende des Ganges Pläne schmiedeten, wie sie den Zarifs und Ryans »auf die Füße treten« konnten. Thorne legte das Telefon weg und sah auf die Uhr. Noch fünfzehn Minuten, bevor er nach Hause fuhr.
»Wahrscheinlich dasselbe, was die Zarifs mit ihnen gemacht hätten«, sagte er. »Er wird sie ausbeuten. Die armen Kerle geben ihren letzten Pfennig, und wenn sie hier ankommen, erfahren sie, dass sie diesen ›Geschäftsleuten‹ noch weitaus mehr schulden. Wenn sie Leute nach Großbritannien schmuggeln, arbeiten sie mit kriminellen Organisationen in einem halben Dutzend Ländern zusammen. Das kann Monate, ja Jahre dauern, und den Schmugglern entstehen dabei neue Kosten. Überall entlang der Route wird die Hand aufgehalten. Und diese Kosten werden an die Leute hinten im Lastwagen weitergereicht.«
Kitson schüttelte den Kopf. »Also selbst wenn sie die Strecke in einem Stück zurücklegen, stecken sie bis zum Hals in Schulden …«
»Genau. Aber glücklicherweise haben Typen wie der nette Mr. Zarif eine Menge Jobs, mit denen sie ihre Schulden abstottern können. Bei einem Pfund fünfzig in der Stunde bräuchten sie dafür nur ein paar Jährchen …«
»Und sie können nichts dagegen tun. Sie können keinen großen Wirbel machen.«
»Außer sie möchten gewaltsam daran erinnert werden, mit wem sie es zu tun haben. Schließlich laufen so viele von denen bei uns rum. Nehmen uns unsere Jobs weg oder leben von unseren Steuern. Wer achtet da schon drauf, wenn ein paar davon verschwinden?« Thornes Stimme wurde leiser, verlor den ironischen Unterton. »Oder schlimmer. Vergessen Sie nicht, die Schmuggler haben dort, wo diese Leute herkommen, eine Menge Freunde, die genau wissen, wo ihre Familien leben.«
Kitson seufzte resigniert. »Ein wunderbares neues Leben …«
Thorne dachte an all die Klischees. Es war schwer, sich Hoffnung als ewigen Quell vorzustellen, aber leicht, sie zerschlagen und zerstört zu sehen. Hoffnung starb gewalttätig. Sie wurde niedergetrampelt und verbrannt.
Hoffnung war etwas, das blutete.
Er ließ einige der Unterlagen, auf die er keinen Blick geworfen hatte, in eine Schublade fallen und schob diese mit einem Knall zu. Das lenkte ihn von dem Gesicht der Frau aus der U-Bahn ab. Das Geräusch übertönte das Klimpern der nicht vorhandenen Münzen in ihrem abgeknabberten Styroporbecher.
Gestern Nacht hatte Thorne eine Menge über Menschenhandel gelesen. Er wusste, dass Frauen entführt, heroinsüchtig gemacht und zur Prostitution gezwungen wurden. Er vermutete, dass die Zarifs in dieses besonders lukrative Geschäft verwickelt waren.
Er wusste, es gab Schlimmeres als Betteln …
Als er laute Stimmen vor der Tür hörte, sah Thorne auf. Holland klopfte und steckte den Kopf ins Zimmer. »Sie haben den Lastwagenfahrer gefunden«, sagte er. Er schob die Tür weiter auf und trat ins Büro. »In einem Wäldchen hinter einem Parkplatz an der A7.«
»Wie?«, fragte Thorne.
»Mit einem Kopfschuss …«
»Schön …«
»Aber vorher haben sie ihn noch mit einem dreckigen Ast halb zu Brei geschlagen.«
»Die A7«, sagte Kitson. »Das ist die Hauptverbindung zwischen Edinburgh und Carlisle. Mein Ex hatte Verwandte da oben.«
Holland hielt sein Notizbuch in der Hand und fing an, darin zu blättern.
Thorne hatte bei der morgendlichen Besprechung absolut richtig gelegen. Der Lastwagen war gestohlen worden, als er auf der von ihm beschriebenen Route nach Schottland unterwegs war. Die Ladung hatte man wohl in einen anderen Wagen umgeladen und den gestohlenen Lastwagen anschließend nach Süden gefahren und bei Chieveley stehen lassen.
Holland fand, was er gesucht hatte. »Genau«, sagte er. »Der Parkplatz war nördlich von Galashiels. Die Jungs von Lothian and Borders haben die Toten gefunden.«
»Was haben sie gefunden?«, fragte Thorne.
»Da waren noch zwei weitere Leichen. Insgesamt drei.« Holland sah von Thorne zu Kitson. »Keine Ausweispapiere. Schusswunden am Kopf.«
Kitson stieß die Luft aus ihren Lungen, als sei diese plötzlich schlecht geworden. Sie rang um Atem. »Gab es vielleicht einen Kampf?« Sie sah zu Thorne.
Er nickte. »Oder versuchten sie zu fliehen?«
»Das vermutet man, glaub ich«, sagte Holland.
Sofort sah Thorne es vor sich. Zwei
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