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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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Etage höher auf dem langen Tapeziertisch. Er lag neben der Kopie des vorläufigen Typoskripts, das ich Ende April abgegeben hatte. Dazu gehörte auch eine Mappe mit hundertsechzig Seiten der endgültigen Fassung. Ich hatte sie in den vergangenen Wochen fast nebenher geschrieben, außerhalb jedes Hundert-Tage-Plans. Es gab also schon, sozusagen, ein Startkapital, mit dem ich die Fehlproduktion schlechterer Tage würde ausgleichen können.
    Kurz und gut, es lief alles bestens. Fast schnurrend vor Wohlbehagen lag ich in meinen Kissen. Gleich würde ich Mirjam anrufen. Nach dem Kaffee und vielleicht etwas genüßlich-faulem Schmusen würde ich eine halbe Stunde lang auf den Hometrainer steigen, und dann mußte ich mich nur noch duschen, anziehen und diese eine Treppe hinaufgehen. Oben würde ich den richtigen Moment abwarten, um für die kommenden hundert Tage die angenehm gespannte Feder losschnellen zu lassen.
4
     
    Und in dem Moment die Klingel. Einmal kurz, einmal lang. Laut und durchdringend. In der nachhallenden Stille das Treppaufgetrappel der Katzen.
    Das laute Schrillen brachte mich wie immer auf die Palme (Herrgott noch mal, Mirjam, die Firma Brom sollte doch eine freundlichere Klingel installieren), jetzt aber war es auch Beunruhigung, die mich senkrecht sitzen ließ. Ich drehte den Kopf nach rechts, wo meine Armbanduhr auf dem Nachttisch lag. Zehn nach neun. Das mußte meine Schwiegermutter sein. Sie war in letzter Zeit häufiger mit dem Taxi vorgefahren, wonach wir sie verwirrt im Eingang fanden. Der Grund war meist, daß Mirjam nicht ans Telefon gegangen war oder von sich aus kein Lebenszeichen von sich gegeben hatte.
    Ja, es konnte sich nur um Wies handeln. Aber … wenn ich mir so sicher war, daß nur sie es sein konnte, nichts weiter als ein ärgerlicher Zwischenfall, warum krampfte sich mein ohnehin schon durcheinandergebrachter Magen dann vor Angst zusammen? Gelenkiger, als mein Rücken es eigentlich zuließ, schlüpfte ich aus dem Bett, um auf dem Flur zu lauschen, was los war. Ich machte den Umweg über das Badezimmer. Zunächst schien es, als sei wieder Stille im Haus eingekehrt. Mirjam hatte die Tür nicht geöffnet, und ihre Mutter war mit dem Taxi wieder weggefahren.
    Mein Magen und mein Herz spürten nicht die Erleichterung, die ich mir einredete. Ich stand dort öfter, mit angehaltenem Atem horchend, ob die Tür geöffnet wurde. Der Postbote, und war Mirjam nicht zu Hause? Mußte ich jetzt selbst über die Gegensprechanlage auf das Klingeln reagieren?
    An irgend etwas, vielleicht am Luftzug im Treppenhaus, merkte ich, daß die Haustür offen war. In der Stimme, die ganz schwach heraufklang, versuchte ich mit aller Macht, die meiner Schwiegermutter zu erkennen, aber ich wußte , es war eine Männerstimme. Aus dem, was ich Mirjam kurz und heftig sagen hörte (unverständlich), ließ sich noch die Hoffnung schöpfen, daß sie, wie häufiger in einer solchen Situation, ihre Mutter anfuhr. Meine Furcht sprach eine andere Sprache.
    Dicht über mir streckten Tygo und Tasja ihre haarigenKöpfe neugierig zwischen den Stäben des Treppengeländers durch. Unten klapperte die Glaszwischentür der Diele. Ein Stimmfetzen, unverkennbar von einem Mann, gefolgt von einem heulenden Aufschrei Mirjams. Die Katzen sprangen die Stufen hinunter und witschten auf dem Flur mit ihren dicken Schwänzen an meinen nackten Beinen vorbei, bevor sie auf den Ruf ihres Frauchens hin mit trommelnden Pfoten die Stufen hinuntersausten.
    Im Schlafzimmer, hinter der geöffneten Tür, klingelte mein Handy. Es lag auf Mirjams Betthälfte. Ich stürzte mich über die eigene Matratze darauf. Zu spät. In dem Moment, in dem ich auf die Taste drückte, hörte ich ihre Stimme, laut, voller Panik, im Treppenhaus.
    »Adri …! Es ist Tonio! Er liegt im AMC ! In kritischem Zustand!«
    Ich war in wenigen Schritten auf dem Flur. In der Treppenbiegung zwischen dem ersten und zweiten Stock stand, den Arm auf dem Geländer, ein junger Polizist, der mit unbewegter Miene zu mir hochschaute. Sein makellos weißes, kurzärmeliges Uniformhemd leuchtete im Dämmerlicht.
    »Mijnheer, ich habe keine schöne Nachricht für Sie«, sagte er. »Ihr Sohn Tonio wurde angefahren und liegt in kritischem Zustand im AMC . Meine Kollegin und ich haben den Auftrag, Sie dorthin zu bringen. Unser Bus steht vor der Tür.«
    Ich fühlte, wie ich in ein körnig wimmelndes Halbdunkel der Art versank, wie es oft einer Ohnmacht vorausgeht. Meine Organe wurden

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