Tore in der Wüste
nächsten Stunde besuchte ich drei weitere Bars, in jeder trank ich ein Bier, dann ging ich weiter. U n terwegs ging ich schließlich in ein Geschäft und kaufte mir eine Flasche, da es schon spät wurde und ich mich zudem nicht sinnlos betrunken in der Öffentlichkeit sehen lassen wollte. Mittlerweile machte ich mir auch Gedanken darüber, wo ich die Nacht verbringen sollte. Ich beschloß, mir ein Taxi zu nehmen, mich von dem Fahrer in irgendein Hotel bringen zu lassen und dort den Prozeß des Betrinkens zu Ende zu führen. Es hatte keinen Zweck, über den Sinn dieser Maßnahme nachzudenken, und auch keinen, sie mit unnöt i ger Hast auszuführen. Im Augenblick wollte ich noch Me n schen um mich haben, mich am Klang ihrer Stimmen laben. Während meine Erinnerungen an Australien schon verblaßt und sehr verschwommen waren, erinnerte ich mich an das reißende Geräusch meiner Jacke und an das Klirren der Scheibe noch sehr gut. Der Gedanke, daß jemand auf mich geschossen hatte, behagte mir überhaupt nicht.
Mit der fünften Bar, in die ich ging, hatte ich einen Glücksgriff getan. Drei oder vier Stufen unterhalb der Ebene der Straße, warm, sehr gemütlich und nur spärlich beleuc h tet; es waren genügend Leute anwesend, um meinem Ko n taktbedürfnis genüge zu tun, aber nicht so viele, daß ich ke i nen einsamen Tisch in einer Ecke mehr gefunden hätte. Ich zog meine Jacke aus und zündete eine Zigarette an. Hier wollte ich eine Weile bleiben.
So kam es, daß er mich hier fand, vielleicht eine halbe Stunde später.
Ich hatte mich schon sichtlich entspannt, hatte die turb u lenten Ereignisse fast schon vergessen und erfreute mich an der Wärme und der Gemütlichkeit. Ich lauschte dem Heulen des Windes draußen, als eine vorübergehende Gestalt st e henblieb, sich umwandte und dann in dem Stuhl mir gege n über Platz nahm.
Ich sah noch nicht einmal auf. Aus dem Augenwinkel hatte ich gesehen, daß es kein Bulle war, und ich fühlte mich davon abgesehen auch nicht in der Stimmung, um mit i r gendeiner, wahrscheinlich fragwürdigen Existenz ein G e spräch anzufangen.
Fast eine halbe Minute saßen wir so da, schweigend, u n beweglich. Dann wurde etwas auf die Tischplatte geknallt, und ich sah automatisch hin.
Drei Fotos lagen vor mir, eindeutige Fotos, eine Blonde und zwei Brünette.
„ Würden Sie sich nicht gerne mit so etwas aufwärmen, in einer so kalten Nacht wie heute? “ fragte eine Stimme, die meinen Verstand wachsam werden und meine Augen um fünfundvierzig Grad in die Höhe blicken ließ.
„ Doktor Merimee! “ sagte ich.
„ Psst! “ zischte er. „ Betrachten Sie weiter die Bilder. “
Derselbe alte Trenchcoat, verschlissen und abgewetzt … Dieselbe lange Zigarettenspitze … Unglaublich scharfe A u gen hinter einer Brille, bei der ich noch immer den Eindruck hatte, in ein Aquarium zu blicken. Wie viele Jahre war es schon her?
„ Was, zum Teufel, machen Sie denn hier? “ fragte ich.
„ Ich sammle Material für ein Buch, was denn sonst? Ve r dammt! Betrachten Sie die Bilder, Fred! Geben Sie vor, sie zu studieren. Na los. Ärger in Sicht. Wahrscheinlich für Sie! “
Also wandte ich meinen Blick wieder den reizenden L a dys zu.
„ Was für Ärger? “ fragte ich.
„ Sie scheinen verfolgt zu werden. “
„ Wo ist er im Augenblick? “
„ Auf der anderen Straßenseite. Dort habe ich ihn zuletzt in einem Tor stehen sehen. “
„ Wie sieht er aus? “
„ Kann ich nicht genau sagen. Er ist aber dem Wetter en t sprechend gekleidet. Hut ins Gesicht gezogen. Kopf vor n über geneigt. Durchschnittliche Größe, mehr oder weniger. Wahrscheinlich etwas gebeugt. “
Ich kicherte.
„ Totaler Durchschnittsmensch. Woher wissen Sie, daß er mir folgt? “
„ Ich habe Sie schon vor Stunden gesehen, einige Bars z u rück. Die, in der ich Sie gesehen habe, war ziemlich übe r füllt. Gerade als ich auf Sie zugehen wollte, sind Sie gega n gen. Ich habe gerufen, aber Sie haben mich in dem Lärm nicht gehört. Bis ich aufgestanden war und bezahlt hatte, waren Sie schon ein gutes Stück die Straße hinaufgegangen. Ich wollte hinter Ihnen hergehen, da sah ich diesen Bu r schen, der aus einer Toreinfahrt herauskam und das ebe n falls tat. Zuerst dachte ich mir nichts dabei, aber Sie sind eine Weile herumgelaufen, und er ist allen Ihren Schritten gefolgt. Als Sie in die nächste Bar gegangen waren, blieb er einfach stehen, starrte sie an und verschwand dann wieder unter einem Torbogen. Er zündete
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