Torstraße 1
schiebt. Sie erzählt Bernhard, dass im Krankenhaus auf einer gesonderten Station Menschen liegen, die AIDS haben. Das will er zuerst nicht glauben, aber es stimmt. Die haben wir also auch versteckt, denkt er, wie Waffen zum Exportieren und zehn Kühlschränke für die Jagdgesellschaften des Politbüros. Nur dass wir die AIDS-Kranken nicht nach Rumänien verschwinden lassen können wie belastende Akten.
Manchmal scheint es ihm, dass er sich nur aufrechthält, weil Elisa fast alles Lebenspraktische in die Hand genommen hat. Dass die Frau an seiner Seite wichtige Dinge regelt, ihn vor vollendete Tatsachen stellt, wenn es sein muss, Entscheidungen trifft, die er auf die lange Bank geschoben hat, ist er nicht gewohnt. Nur über eine Entscheidung zerbricht er sich heimlich und allein den Kopf. Ob er die beiden Frauen, Elsa und Elisa, miteinander bekannt machen soll. Und, wenn ja, wo und wie. Da hat er noch nicht ein Wort mit Elisa oder Elsa darüber gesprochen, weiß nicht einmal, ob die beiden die Idee auch so gut finden wie er, und scheitert schon an der Frage, in welchem Teil der Stadt solch ein Treffen stattfinden sollte.
Eines Abends, es ist nasskalt und ungemütlich, macht er sich auf den langen kurzen Weg in die Theaterkantine, wo Luise immer noch arbeitet. Noch schwerer ist es ihm gefallen, vorher Uwe anzurufen und ihn zu fragen, ob er nicht Lust hätte, dass man sich zu dritt mal abends auf ein Bier trifft. Uwe hat vorgeschlagen, Luise heute um neun nach der Schicht in der Kantine abzuholen, am Eingang in der Linienstraße. Nun läuft Bernhard vor zur Wilhelm-Pieck-Straße, am Institut vorbei, um dann nach links in Richtung Volksbühne abzuschwenken. Im Institutwar er schon einige Tage nicht mehr, und zurzeit zieht es ihn da auch nicht hin. Inzwischen käme es ihm doch seltsam vor, sich irgendwo zu verkriechen und in alten Geschichten zu kramen.
Uwe steht vor dem Kantineneingang, pustet weiße Atemwolken in die Luft und sieht verfroren aus. Müssen die alle Vollbärte tragen, denkt Bernhard, als er auf seinen Schwiegersohn zugeht. Er weiß selbst, dass das ein blöder Gedanke ist, aber er kann nichts dagegen tun, der Jünger-Jesu-Look geht ihm auf die Nerven. Verheiratet sind die beiden nicht, aber schon so lange zusammen, dass es auch nicht mehr wichtig ist und man den Jungen ruhig als Schwiegersohn betrachten kann. Manchmal wundert sich Bernhard, dass Uwe und dessen Eltern nichts gegen die wilde Ehe einzuwenden haben, wo sie doch auf kirchlichem Segen bestehen müssten. Aber erklär ihm einer die DDR-Pfaffen, bei denen weiß man nie. Da helfen die schönsten Vorurteile nicht. Uwe umarmt ihn herzlich. Das gehört auch zu all den Rätseln, die er Bernhard immer wieder aufgibt. Dass er nie die Herzlichkeit verliert, selbst wenn man sich noch so schlimm gestritten hat.
»Ich hab Luise nur gesagt, dass ich sie abhole. Sie wird sich freuen, wenn sie uns beide hier stehen sieht.« Uwe grinst und sieht trotz Vollbart wie ein kleiner Junge aus. Da öffnet sich die Tür, und ein paar Leute strömen aus der Theaterkantine, eine von ihnen ist Luise, die erst überrascht und dann froh aussieht, als sie die beiden Männer entdeckt, die nur ihretwegen gekommen sind.
»Lasst uns die Schönhauser hochlaufen und gucken, wo wir Platz finden«, schlägt Uwe vor. Zwanzig Minuten später sitzen sie in der Nähe vom Kollwitzplatz in einer Kneipe. Am Tresen wird laut und heftig über Politik geredet, hinten am Tisch in der Ecke aber kann man das ignorieren. Bernhard bestellt Bier für sich und Uwe und einen Rotwein für Luise.
»Wollt ihr eigentlich irgendwann mal heiraten?«, platzt er heraus und möchte sich im gleichen Augenblick am liebsten dafür ohrfeigen. Geht ihn nichts an.
Aber Luise antwortet ganz ruhig. »Wir haben darüber nachgedacht, sind schließlich schon lange zusammen. Und Kinder soll es nun auch bald geben.«
Uwe lächelt Luise an und nimmt ihre Hand. »Luise möchte unbedingt, dass wir eine kleine Karla in die Welt setzen«, verrät er und lächelt weiter, um den Satz ein wenig abzumildern. »Fändest du doch auch schön, oder?«
Bernhard nickt und muss schlucken. Eine kleine Karla wäre wirklich wunderbar.
Obwohl er das überhaupt nicht vorhatte, erzählt er nun Luise und Uwe, dass er überlegt, ein Treffen zu organisieren. So eine Art Familientreffen. Zuerst einmal mit Elisa und Elsa, die in seinem Leben so eine wichtige Rolle gespielt haben und spielen, und dann vielleicht mit den Kindern. »Elsa,
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