Torstraße 1
hast?«
»Nie«, sagt Bernhard und lächelt. »Ich habe hier immer nur in der Vergangenheit gegraben. Und nicht in die Zukunft geschaut.« Es amüsiert ihn, dass er sich dieser Worthülsen bedienen kann und ihnen nun eine ganz andere Bedeutung zukommt. Manchmal schlägt er die Zeitung auf und liest Sätze, die er selbst mal so und nicht anders geschrieben hat. Nur dass sie jetzt von anderen gesagt werden. Er schaut sich um. Ringsum wird Sekt getrunken. Oder Prosecco, wie der Sekt heute wohl heißt. Und er stünde hier gern mit einem Bier.
»Komm«, sagt Bernhard. »Wir werden jetzt Geburtstag feiern, wir beide. Wer hat dir eigentlich eine Einladung besorgt für diese Sause?«
»Ein junger Ami«, sagt Elsa, »den ich noch nie im Leben gesehen habe. Obwohl, ich hatte das Gefühl, ihn irgendwoher zu kennen, aber woher nur? Er hat mich am Türsteher vorbeigeschmuggelt und behauptet, ich sei seine Grandma.«
»Wie sah er denn aus, dein Enkel? Vielleicht finden wir ihn, vielleicht kennst du ihn wirklich. Oder er dich.«
Da wird Bernhard bewusst, dass er bisher keinen einzigen Bekannten oder früheren Kollegen hier gesichtet hat. Keine zwanzig Jahre später scheinen alle Verbindungen gerissen, das Personal des Stücks komplett ausgetauscht. Was hielten die wohl davon, kommt es ihm in den Sinn, wenn wir Ehemaligen und Unverbesserlichen uns hier im Soho House zum Jubiläum träfen? Er stellt sich vor, wie sie hier stehen, mit Sektgläsern in der Hand am Pool, und gelernte Parolen verkünden. Alte Knacker und Knackerinnen sie alle. Wie sie reden über damals und früher, mit dicken, faltigen Bäuchen über den Badehosen, und sich mehr oder weniger verbittert über die Vergangenheit auslassen.
»Grauenvoll«, entfährt es ihm, und Elsa schaut verwundert. »Hast du gesehen, dass die hier eine Bar Politbüro einrichten?«
Elsa nickt. »Zum Glück gibt es keine Lounge Jonass«, meint sie. »Aber trotzdem, Bernhard, vielleicht sollten wir Clubmitglieder werden.« Sie kichert. »Dann könnten wir uns hin und wieder hier ein Zimmer nehmen.«
Bernhard spürt, wie er rot wird, und wendet sich ab. Das schafft sie noch immer, selbst mit achtzig, ihn so verlegen zu machen.
»Warte einen Moment«, sagt er und kommt kurz darauf mit einer Flasche Prosecco und zwei Gläsern zurück. Mit einer Bierflasche auf ihren Geburtstag und die ganze Chose hier anzustoßen, das wäre doch ein wenig schäbig. Er stellt Flasche und Gläser auf einem Bistrotisch ab, greift in die Jacketttasche und holt ein kleines Päckchen hervor.
»Ich hab was für dich, zum Geburtstag«, murmelt er und freut sich, dass jetzt Elsa ein bisschen verlegen aussieht.
Sie nestelt an dem Päckchen und öffnet das Holzkästchen.
»Bernhard«, sagt sie, »gleich fall ich tot um.«
»Wenn du das machst, bin ich dir bis an mein Lebensendeböse.« Er nimmt Elsa die Kette aus der Hand und legt sie ihr um den Hals. Braucht eine Ewigkeit, bis er den winzigen Verschluss geschlossen hat, und dreht Elsa zu sich. Der goldene Anhänger in Form einer Kamera liegt in ihrer Halskuhle und pulsiert ein wenig mit, wenn ihr Herz schlägt. Neben ihnen applaudiert eine junge Frau und beglückwünscht sie.
»Die denkt bestimmt, du hast mir einen Heiratsantrag gemacht«, flüstert Elsa. »Aber das hast du ja wohl nicht, oder?«
»Vielleicht«, sagt Bernhard und legt einen Arm um ihre Schultern, »hätte ich das tun sollen. Vor Langem schon. Doch wann wäre dafür der richtige Zeitpunkt gewesen?«
Elsa lehnt ihren Kopf an seinen. Beide schweigen. Sie hätte es nicht sagen können. Es gab ja fast immer Männer in ihrem Leben. Und in Bernhards Leben Frauen. Frauen und Männer und die Mauer.
»Auf uns!«, sagt sie und hebt ihr Glas. »Auf unseren achtzigsten Geburtstag, und darauf, dass wir hier zusammen feiern!«
Bernhard stößt mit ihr an. »Und auf unseren neunzigsten! Und hundertsten!«, prostet er ihr zu.
»Einverstanden.« Sie lacht und deutet noch einmal über die Dächer der Stadt im Licht der sinkenden Sonne. »Auf Vicky und Elsie«, sagt sie und nimmt einen Schluck. Dann dreht sie das Glas zwischen den Fingern. »Und Harry.«
Bernhard betrachtet das Gewirr der Dächer und Türme, Schneisen und Straßen. Bis zum Horizont Häuser, von Menschen bewohnt und gebaut. »Auf Wilhelm«, sagt er und leert das Glas. »Und auf Martha.«
»Hast du?«, fragen beide zugleich und schütteln beide die Köpfe.
»Gefunden, was ich gesucht hab?«, sagt Elsa. »Nein. Zum Glück nicht. So schön
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