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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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das ihn absichern sollte, hatte sich als Bumerang erwiesen. Hätte er gestöhnt, Frivolitäten ausgespuckt, mit Vergewaltigung gedroht, man hätte ihn aus der Leitung geworfen, um Platz zu machen für den Anruf der Entführer. So aber …
    Vavra rang mit sich. Nun, es blieb ihm gar nichts anderes übrig. Er mußte seine kleine Leidenschaft gestehen. Was ihm leichter gefallen wäre ohne die Anwesenheit dieser Frau. Es war aber diese Frau, die ihre Leute, indem sie sich schneuzte – ein vertrautes Zeichen –, in Schach hielt und also Vavra die Möglichkeit gab, seine unglaubwürdige Geschichte zu erzählen. Immerhin führte dies zur Erheiterung der Runde. Allerdings stand man unter Druck, hatte eigentlich keine Zeit für solche absurden Ausreden.
    »Bei dem kommen wir mit Höflichkeit nicht weiter, wann sind wir mit Höflichkeit je weitergekommen«, sagte ein rotgesichtiger Enddreißiger. Allgemeines Nicken der Männer. Die Jünglinge grinsten. Freuten sich darauf, ihren Mitschülern Authentisches berichten zu können. Aber Steinbeck erwies sich einmal mehr als Spielverderberin, nahm einen Stuhl, setzte sich Vavra gegenüber, plazierte ihre spitzen Ellenbogen auf den Sessellehnen, schob ihre Fäuste zusammen, auf deren Fläche sie ihr Kinn ablegte, und erklärte Vavra, daß er doch bitte so nett sein möge, ihr eine andere Geschichte aufzutischen. Mit dieser könne sie schließlich nicht vor den Polizeipräsidenten und den Minister treten, die leider beide auf eine rasche Erledigung der Affäre pochen würden. So seien Politiker nun mal, einfach gestrickte Leute, die Forderungen aufstellten, als wäre das Leben ein begrenztes Feld. Auch der Polizeipräsident sei gewissermaßen Politiker. Sie könne das, was er da berichte, glauben oder nicht, aber sie könne es beim besten Willen so nicht weitergeben.
    Wie alle Unschuldigen machte Vavra nun den Fehler, nicht nur auf seiner Unschuld zu bestehen, was noch angegangen wäre, sondern auch noch auf seiner Version von der Wahrheit zu beharren. Er war einfach nicht bereit, sich eine bessere Geschichte auszudenken, sondern gab immer wieder, trotz freundlichen Ersuchens Steinbecks und drohender Gebärden ihrer Mitarbeiter, seine dämliche Zwanzig-Schilling-Schein-Burleske zum besten.
    Nach zwei Stunden unerquicklicher Wiederholungen tat Steinbeck einen Seufzer, in dem echtes Mitleid zum Ausdruck kam, zündete sich eine Zigarette an, steckte sie Vavra in den Mund und verließ den Raum. In dem sich nun niemand mehr befand, der dem Delinquenten seinen kleinen Nikotingenuß gönnen wollte. Wer hätte die Ungeduld der Herren nicht verstanden? Einer der Gentlemen erhob sich und schnippte Vavra die Zigarette aus dem Mund. Der darauffolgende Schlag ins Gesicht erwies sich jedoch als wenig umsichtig, da Vavra in eine Ohnmacht fiel, aus der man ihn so schnell nicht wieder herausbekam.

2|  Striptease
    Die Zelle, in der er nun seit Wochen einsaß, Weihnachten und Silvester wenig feierlich hinter sich gebracht hatte, schien eher ein Büroraum zu sein. Auf einer zerkratzten Schreibtischplatte, deren hellgrüner Anstrich nur noch schwach in das Auge des Benutzers fuhr, stand eine mechanische Schreibmaschine, die – laut einer an die Wand genagelten Tafel – dazu diente, jederzeit und selbständig ein Geständnis zu verfassen, da man an die Einsicht sowie die Bekenntnis- und Beichtfähigkeit der festgenommenen und inhaftierten Personen unbedingt glaube.
    Es war eines von diesen trostlosen Büros, das nie einen Innenarchitekten, Ergonomen oder Betriebspsychologen gesehen hatte, mehr eine Amtsstube, die der Abschreckung von Antragstellern diente. Die ohne Begeisterung tapezierten Wände waren geschmückt mit einer ausgebleichten Straßenkarte Wiens, einem Poster, auf dem eine halbnackte Dame für den Genuß gespritzten Weißweins in Zeiten erhöhter Temperatur warb, einem schlichten Holzkreuz und einem gerahmten, aber glaslosen Farbdruck von phantastischer Harmlosigkeit. Zwei Topfpflanzen demonstrierten ihre Unzufriedenheit mit den Verhältnissen. In einem Regal standen Bücher, die nicht zum Lesen gedacht waren, wie Chemie erobert die Welt oder Schachkuriosa . Tröstlich war der Blick durch das Fenster hinunter auf eine Parkanlage. Wieder schien er sich in einem Spital zu befinden. Er sah Leute in Rollstühlen, Hausmänteln und Gipsverbänden, die trotz der Kälte ihre Runden absolvierten. Dazu Angehörige, die immerfort auf ihre Uhren sahen. Allerdings war das Fenster verschlossen, der

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