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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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des Medikaments zunichte machte. Vavra riß die Augen auf. Gleißende Lichtkegel schossen über ihn hinweg. Merkwürdig verzerrte Stimmen drangen aus allen Richtungen. Ihm war, als führten unzählige Röhren zu einem zentralen Punkt, der sein Bett war, der – genaugenommen – er selbst war. Warum? Weil er Suppen erfand? Oder war das eine Gasexplosion, ein Erdbeben? Oder bereits die Hölle, die jeden Menschen einzeln willkommen hieß, wie unbedeutend er auch sein mochte? Nun, nichts von dem. Es war bloß die Polizei, die hier so spektakulär auftrat, eine ihrer Spezialeinheiten. Leute, die eine gewisse Erfolgsgarantie darin sahen, eine Wohnung in größte Unordnung zu bringen. Vavra aber fürchtete, in eine bruegelsche Vision vom Triumph des Todes geraten zu sein, als nun im endlich erstarrten Licht dunkle, gesichtslose, käferartige Gestalten über ihn herfielen, ihn auf den Bauch warfen und seine Arme Richtung Schulterblätter verdrehten. Ein Knieschützer und mit ihm das Gewicht eines ausgewachsenen Mannes lastete auf Vavras Nacken, während eine Stiefelspitze gegen seine Hoden stieß. Er schrie auf. Jemand schlug ihm gegen das Ohr, mehr beiläufig, als wollte man ihn bloß daran erinnern, daß er hier der letzte war, der sich eine Wehleidigkeit erlauben durfte.
    Jetzt spürte er das kalte Metall der Handschellen an seinen Gelenken. Auch fixierte man seine Beine fachgerecht. Zwei Polizisten faßten ihn wie ein Kind am Saum seiner Pyjamahose, hoben ihn hoch und trugen ihn aus der Wohnung.
    Im Stiegenhaus drängte sich eine ganze Armee, worunter dieses gelitten hatte. Doch waren die Männer zwischenzeitlich zur Ruhe gekommen, schließlich befand sich die Katze im Sack. Trotz Rauchverbot glühten erste Zigaretten. Vavra wurde kaum beachtet, als er nun wie ein Möbelstück aus dem Haus befördert wurde. Kein einziger Mensch auf der Straße, nicht einmal Polizeiwagen waren zu sehen. Man hatte die Gegend weiträumig abgeriegelt und die Anrainer mittels einer Megaphonstimme, die Schmerz und Tod versprochen hatte, davon abgehalten, an die Fenster zu treten.
    Vavra im seidenen Nachtgewand, frierend – immerhin war es Mitte Dezember –, einige Zentimeter über dem Boden schwebend. Die beiden vermummten Polizisten blieben wortlos. Auf der anderen Seite der Straße lag eine Parkanlage, auf der nun ein Hubschrauber wie ein alkoholisiertes Insekt aufsetzte. Vavra vermutete die Blicke der Nachbarn auf seiner anstößigen Erscheinung. Er genierte sich. Auch für den Lärm, den er gewissermaßen verursacht hatte. Übrigens hielt er Kafkas Prozeß für eine schlimme Übertreibung. Die Welt war besser, als die Kunst sie sich vorstellen wollte. Auch in seinem Fall lag ein Irrtum vor, doch er war überzeugt, daß sich selbiger würde aufklären lassen. Und als man ihn nun in den Hubschrauber verfrachtete, hätte er gerne erwähnt, daß er diese Polizeiaktion, ihren Ablauf, die präzise Folge aktionsreicher Maßnahmen für mustergültig halte. Verwechslungen geschahen nun einmal, auch im besten System. Mag sein, daß Unschuldige im Gefängnis saßen. Wollte man deshalb den Rechtsstaat abschaffen? Natürlich nicht. Diese wenigen Opfer erkennungsdienstlicher Mißgriffe waren wohl auch selbst schuld an ihrem Schicksal. Er hingegen würde, sobald er die Möglichkeit dazu bekam, darlegen, daß er keineswegs daran denke, die Presse zu informieren oder gar die Behörden anzuklagen, bloß weil diese daneben- und zufällig ihn gegriffen hatten. Er wollte sich mit einer förmlichen Entschuldigung zufriedengeben und die Sache gerne wieder vergessen.
    Zu seiner Überraschung landete der Hubschrauber auf einem der beiden flakturmartigen Komplexe des Allgemeinen Krankenhauses. Erneut wurde er an der Hose gepackt, die einen unbedankten Qualitätstest bestand. Man zog ihn über den Landeplatz und hinein in den Aufzug. Vavra war das alles nun doch ein wenig zuviel. Die Ansätze seiner Oberschenkel brannten. Auch seine nackten Füße, die auf die plötzliche Wärme reagierten. Wie der ganze Vavra, der für einen Moment das Bewußtsein verlor, so wie man einen Faden verliert. Als er erwachte, trugen sie ihn gerade durch einen Gang, hielten vor einer gläsernen Kabine an. Eine Krankenschwester musterte Vavra über den Rand ihrer Brille hinweg, als sei er es nicht wert, durch die korrigierende Wölbung des Glases betrachtet zu werden. Ein Blick wie zur Schädlingsbekämpfung. Nicht gerade die Frau, der man vorwerfen konnte, sie markiere hier den Engel

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