Tortengraeber
in Weiß. Sie nahm eine Liste, auf der sie mit zwei geraden, boshaften Strichen einen Namen durchkreuzte. Am Ende des Ganges öffnete sich eine mit Kinderzeichnungen zugeklebte Türe, und Vavra wurde in einen langgestreckten Raum geschafft. Auf einem ebenso langgestreckten gläsernen Konferenztisch triumphierten in schönster Ordnung vier pflastersteingroße Aschenbecher. An den Tischenden waren Aufnahmegeräte installiert worden, dazwischen standen mehrere Tassen, darin mit Sahne verdünnter Kaffee. Die am Tisch abgelegten Pistolen fielen nicht weiter auf unter den silbernen Zuckerschalen, Milchkännchen, den Schnupftabakdosen, den Zigarettenetuis und Flachmännern. Auf der Fensterseite des Tisches saß ein halbes Dutzend Männer in hellen Anzügen. Die bunten Krawatten korrespondierten mit den Einstecktüchern. Die Köpfe schmückten echte Friseurfrisuren, nichts Hausgemachtes, nicht die übliche Heimarbeit talentierter Gattinnen. An Fingern und Ohren trugen sie breite Ringe, wie man das öfters bei Staatsdienern sieht. Die zwei Burschen aber, die an den Aufnahmegeräten saßen, wirkten eher wie Praktikanten. Und tatsächlich handelte es sich um technisch versierte Gymnasiasten, die ihr Direktor im Zuge der von der Regierung ausgegebenen Forderung nach eigenverantwortlicher Kapitalbeschaffung und Diversifikation an die Polizei vermittelt hatte.
Der Blick auf das nächtliche Wien war großartig. Es schien, als vibrierten die Lichter in vorweihnachtlicher Erregung, als habe der optimistische Geist der Wiener Handelskammer selbst die letzte und kleinste Straßenlaterne erfaßt. Während die beiden Schüler mit privatwirtschaftlichem Eifer ihre Geräte prüften und die Beamten rauchten und plauderten, als sei das hier ein Betriebsfest, stand eine Person am Fenster und sah hinauf zum klaren Nachthimmel. Eine Frau mit aufgestecktem Haar. Die Spitzen der sichelförmigen Ohrringe wiesen auf den langen, dünnen Hals, der wie ein weißer Stiel das schwarze Haar mit dem schwarzen Kleid verband. Daß sie hier das Sagen hatte, war spürbar, vielleicht auch bloß, weil sie als einzige stand.
Natürlich: Durch die Fernsehserien wirbelten in jüngster Zeit weibliche Chefkriminalistinnen, rotgelippte, schmalwangige Bastionen der Unbestechlichkeit, zwischen kalter Autorität und Waldorfpädagogik wankend, zwischen distanzierter Grazie und burschikoser Direktheit. Aber daß auch im wirklichen Leben Frauen in den befehlsgebenden Bereich des polizeilichen Apparates vordrangen, war Vavra so neu wie fremd und ihm ein weiterer Beweis für den fatalen Einfluß klischeebildender Fiktionen auf die Realität. Was es im Fernsehen gab, drängte sich über die Köpfe des Publikums in die Wirklichkeit hinein. Ein künstlicher Virus, der mit mörderischer Kraft in die Natur fuhr und sie bis zur Unkenntlichkeit deformierte.
Die Frau wandte sich um. Eine auf eine kränkliche Art elegante Erscheinung. Die nackten Arme, dünn und bleich wie ihr Hals, verrieten eher einen Hang zum skandinavischen Symbolismus als zum Schießsport. Freilich konzentrierte sich der Blick aller Betrachter, die diese Frau das erste Mal sahen, auf die flachgedrückte, S-förmige Nase, die wie eine blecherne Gebäckform zwischen den infolge Müdigkeit oder Trauer stets angestrengten Augen steckte. Wie sie zu dieser auffälligen Gesichtsmitte gekommen war, blieb weitgehend unbekannt, auch, warum sie die Möglichkeiten der plastischen Chirurgie nicht nutzte, um dem voyeuristischen, einmal mitleidigen, einmal höhnischen Blick ihrer Umwelt zu entkommen. Etwa dem Verdacht, daß sie mittels dieser Entstellung sich die Männer vom Leib halte. Oder daß sie den Zustand ihrer Nase einer kämpferischen Liaison verdanke, an die sich ständig zu erinnern ihre masochistische Ader sie zwinge. Auch gab es obskure Spekulationen darüber, inwieweit ihre verunfallte Nase ihre Karriere gefördert habe, da einige Neider behaupteten, gerade ihre Nase habe Lilli Steinbeck den Geruch von Kompetenz verliehen. Daß sie diese tatsächlich besaß, ignorierten sogar ihre engsten Mitarbeiter, die sich die beachtlichen Erfolge der Abteilung fälschlicherweise selbst zuschrieben. Natürlich litten die untergebenen Herren Qualen, daß eine Frau das Kommando innehatte, die außer ihrer Nase so gar nichts von einem Mann besaß und die im Gegensatz zu ihren fiktionalen Pendants weder eine Waffe noch ein hartes Wort zu bedienen wußte, langsam und vorsichtig und selten mit dem Auto fuhr, keinen schwarzen
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