Tortenschlacht
Keithstraße die Panne zu verantworten gehabt hätten. So aber war Damaschke der Dumme, und seither verfügte er als Chef der Spurensicherung absolute Quarantäne über jeden Tatort, bis alle Spuren gesichert waren.
»Wann sind schon alle Spuren gesichert«, lästert Hünerbein, »gab es schon mal irgendwas von denen, was uns zum Täter geführt hat? – Nee! Spuren werden total überschätzt! Zumindest, wenn die Mafia im Spiel ist.«
Als erfolgreicher Fahnder muss er das wissen, und deshalb widerspreche ich ihm nicht, obwohl ich auch kein schlechter Ermittler, aber ganz entgegengesetzter Meinung bin.
So stehe ich relativ gespannt am Rande der Absperrungen und warte auf erste Ergebnisse, während mein dicker Kollege Hünerbein in seinem Mercedes mit Ostkommissar Friedrichs fröhliches Wiedersehen feiert.
»Und als Sie dann Damenunterwäsche auf den Tisch gelegt haben …« Friedrichs lacht drauflos. »Also das war …«
»… wenn es wenigstens Reizwäsche gewesen wär.« Auch Hünerbein grölt. »Schwarz mit viel Spitze …«
»… da dachte ich wirklich: Jetzt … jetzt will er mich provozieren! Mit einem West- BH !«
Beide wiehern wie pubertäre Schuljungs.
»Dabei war der BH aus dem Osten«, erklärt Hünerbein kichernd.
»So was hat meine Frau nie getragen«, quiekt Friedrichs, »so flotte Dessous gab’s bei uns nur im Exquisit!«
»Sind die schwul?«, erkundigt sich Melanie und zieht sich fröstelnd die Decke enger um die Schultern, weil ihre Kleider ja immer noch recht feucht sind.
»Schwule haben keine Frauen«, erwidere ich knapp, doch für Melanie ist das nur ein weiterer Beweis, dass ich keine Ahnung vom wahren Leben habe.
»Warum sind Sie eigentlich nicht mehr im Präsidium am Alexanderplatz?«, fragt Hünerbein, und Friedrichs antwortet:
»Weil ich mir von Wessis nicht meine Arbeit erklären lassen will. Wenn ich allerdings gewusst hätte, dass Sie das übernehmen, hätte ich es mir vielleicht noch mal überlegt.«
»Kommen Sie doch zurück.«
»I wo. Ich höre rechtzeitig zur Wiedervereinigung auf. Am Dritten ist Schluss – das lohnt nicht mehr.«
»Dreck am Stecken?«
»Quatsch! Rentner.«
Hünerbeins Bedauern ist spürbar, aber Friedrichs tröstet ihn. »Aber wenn Sie mal meine kriminalistische Hilfe brauchen: Jederzeit!«
Ich frage mich, ob Hünerbein seinen Flachmann herausgeholt hat, weil die beiden so aufgekratzt sind.
»Hauptkommissar, kommste mal?«
Damaschke holt mich aus meinen Gedanken und hebt die Absperrung so an, dass ich bequem drunter durchtauchen kann, ohne mich allzu tief bücken zu müssen.
»Aber dicht hinter mir bleiben!«
»Klar doch, Jürgen«, beruhige ich ihn. »Was hast du denn für mich?«
»Na ja, wenn du mich fragst, sieht alles nach klassischem Freitod aus.« Damaschke stiefelt voran auf die Scheune zu. »Das Opfer hat sich noch mal fein gemacht, Leiter hoch, Strick um den Hals und dann die Leiter umgeworfen. So läuft das meistens.«
»Aber die wenigsten stecken vorher noch ihre Wohnungen in Brand.« Ich sehe, dass die Leiche noch immer im Raum hängt.
»Auch das soll schon vorgekommen sein. Nein, mich wundert etwas anderes.« Damaschke nimmt die Hände des Toten in seine behandschuhten Finger. »Sieh dir das mal an!«
Die Innenseiten der Hände sind blutig abgeschürft.
»Das heißt?«
»Er muss sich am Strick festgehalten haben«, erklärt Damaschke, »was ungewöhnlich ist, denn normalerweise stirbt man bei dieser Art des Freitodes sehr schnell noch während des Falls durch Genickbruch – da ist keine Zeit mehr zum Festhalten, verstehste?«
»Mhm«, mache ich, »und was sagt die Rechtsmedizin dazu?«
»Den Totengräber habe ich an die Leiche noch nicht rangelassen«, grinst Damaschke, »der wartet seit einer Stunde auf seinen Einsatz.«
»Und springt vermutlich im Dreieck.«
»Geschieht dem arroganten Knochen recht. – Und noch was.« Damaschke bückt sich und deutet auf einen Schuhabdruck am Boden. »Eine ziemlich grobe Sohle, vermutlich Größe sechsundvierzig.«
»Vom Täter?«
»Jedenfalls nicht vom Toten«, antwortet Damaschke, »wir haben zwar diverse Sorten von Gummistiefeln gefunden, aber Schuhgrößen und Sohlenprofil stimmen nicht überein. Außerdem ist der Abdruck sehr tief. Im Gegensatz zu diesem hier.«
Der Spurensicherer zeigt mir einen weiteren Schuhabdruck mit demselben Profil und circa vierzig Zentimeter vom ersten entfernt. Beide Abdrücke sind mit weißen Schildchen und Nummern versehen.
»Du meinst …«
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