Tortenschlacht
Hof bis zuletzt, obwohl auch sie von der Staatsgewalt schikaniert und zermürbt wurden.«
»Diese Schwiegertochter, die Traudl …« Hünerbein nahm sich ordentlich Suppe nach. »… ist das die, die an Krebs gestorben ist?«
»Ja«, nickte Gravenstein traurig, »und vermutlich war’s auch der Kummer. Denen wurde hier übel mitgespielt, wissen Sie?«
»Nein«, meinte Hünerbein und grinste, »weiß ich nicht. Ganz im Gegensatz zu Ihnen, vermutlich.«
»Wie war Ihr Verhältnis zu den Arndts?«, erkundigte sich Friedrichs.
»Sie kannte ich kaum«, erwiderte Gravenstein, »wir kamen erst 85 hierher, da war sie schon sehr depressiv und Fremden gegenüber nicht mehr aufgeschlossen.«
»Und ihn? Kannten Sie ihn besser.«
»Ja.« Gravenstein seufzte. »Wir haben hier sozusagen eine kleine Zelle der DDR -Opposition aufgebaut. Wir waren so was wie Freunde. Bis …« Er sprach nicht weiter, atmete stattdessen tief durch und schüttelte unmerklich den Kopf.
»Ja?« Hünerbein war ganz Ohr. »Bis …? Was wollten Sie sagen?«
»Sie haben sich zerstritten«, sagte Gravensteins Frau vom Herd her und ohne von ihrem Strickzeug aufzusehen, »wegen diesem verdammten Flughafenbau.« Offenkundig arbeitete sie an einem neuen Wollpullover für ihren Mann. Der, den er jetzt trug, war an manchen Stellen schon ziemlich fadenscheinig.
»Ach«, machte Hünerbein und löffelte weiter seine Suppe. »Wie darf ich das verstehen? Waren Sie dagegen und er dafür, oder wie?«
»Zuerst war er auch dagegen«, erklärte Gravenstein ruhig, »die ersten Gerüchte darüber haben ja hier alle mächtig in Aufregung versetzt. Ein Großflughafen in unserer Gegend – das gefällt niemandem. Na ja, und dann haben wir eine Bürgerinitiative gegründet.«
»Wer? Sie und Arndt? Gegen den Flughafenausbau?«
Gravenstein nickte. »Wir waren die Ersten, die etwas organisierten. Die anderen kamen später.«
»Die anderen?«
Gravenstein schob seinen Teller von sich. »Alle sind untereinander zerstritten, und deshalb gibt es auch mehrere Bürgerinitiativen. Die der alten Parteigänger, die der wenigen Oppositionellen, und die der Leute, die von beiden Gruppen nicht viel halten, aber trotzdem gegen einen Ausbau des Flughafens sind.«
»Verstehe«, sagte Friedrichs in seinem gedehnten Thüringisch, »die alten Gräben.«
»Sie haben also …« Hünerbein nahm jetzt doch den Krug mit dem selbst gebrauten Bier und schenkte sich ein. »… mit Jan Fridolin Arndt eine Bürgerinitiative gegen den Flughafenausbau gegründet. Sozusagen als Freunde. Und dann haben Sie sich zerstritten, weil Arndt plötzlich der Flughafen egal war? Weil er sein Land ohnehin verkaufen wollte?«
»Das waren Spekulanten«, regte sich Gravenstein auf, »wie oft haben wir darüber diskutiert. Ich verstehe ja, dass er den Hof allein nicht halten konnte – aber es hätte ihm ja jemand helfen können.«
»Sie zum Beispiel?« Hünerbein nahm einen Schluck Bier. »Holla, das ist aber gut!«
»Nicht wahr?« Gravenstein lächelte schwach. »Zusammen hätten wir so viel machen können, aber Arndt wollte nicht. Er wollte niemanden mehr auf seinem Hof haben. Es war, als sei er nach all den Kämpfen darum müde geworden. Die Italiener hatten leichtes Spiel. Und sie haben ihm unvorstellbar viel Geld geboten.« Gravenstein stand auf und stellte sich ans Fenster. »Wie man es auch dreht und wendet: Arndt hat seine Ideale verkauft.«
Friedrichs sah auf. »Und dafür hassen Sie ihn?«
»Hassen nicht. Aber ich bin enttäuscht.«
»Na, hören Sie mal!« Hünerbein wischte sich den Schaum vom Mund. »Wenn Ihnen jemand für Ihr Haus hier zehn Millionen anbieten würde – wäre Ihnen dann der Flughafen nicht auch egal? Es gibt so viele schöne Plätze auf der Welt.«
»Haben Sie zufällig ein Motorrad«, erkundigte sich Friedrichs.
»Fahrräder«, sagte Gravenstein entschieden, »wir lehnen die automobile Nutzung von Verbrennungsmotoren ab. Wir haben Fahrräder.«
»Trotzdem muss ich Sie das fragen«, insistierte Friedrichs, »wo waren Sie gestern Nachmittag so ab achtzehn Uhr?«
»Warum fragen Sie das?« Gravenstein fuhr herum.
»Jan Fridolin Arndt wurde in seiner Scheune grausam ermordet«, erklärte Friedrichs.
»Was?« Gravenstein schluckte betroffen.
»In seinem Hause wurden Drohbriefe gefunden«, setzte Hünerbein hinzu. »Jetzt versuchen wir herauszufinden, wer ihm gedroht hat. Und in diesem Zusammenhang dachten wir, dass ein Verkauf seines Landes den Interessen der
Weitere Kostenlose Bücher