Tortenschlacht
gutmütiges, mütterliches Gesicht.
»Wo drückt denn der Schuh, junger Mann?« Sie schiebt sich auf den Barhocker neben mich und sieht mich prüfend an. »Doch nicht etwa Liebeskummer, mhm?«
»Sie heißen nicht wirklich Daisy, oder?«
»Wo denkste hin?« Die Blonde lacht. »Heißt du etwa Donald? Oder Dagobert? – Nee, ick bin Dagmar.«
»Dieter«, sage ich.
»Siehste, det passt: Ab sofort sind wir D.D.« Sie lächelt den Barmann an, »machste mir noch ‘n Sektchen?«, und wendet sich sofort wieder mir zu. »Also, was hat denn nu der Patient? Freundin abgehauen, Job verloren, Oma tot?«
»Alles gleichzeitig«, antworte ich, »außerdem ist meine Wohnung abgebrannt.«
»Au Backe«, ruft Daisy, »dann müssen wa zu mir!«
»Muss ich Miete zahlen?«
»Nee«, lacht Daisy schallend und nimmt ihren Sekt in Empfang. »Aber putzen. Nackt! Wir wollen doch schließlich beide unseren Spaß haben, oder?« Sie hebt ihr Glas. »Prösterchen! Auf die Dramen des Lebens!«
»Scheiße«, entfährt es mir. Denn oben in Monikas Wohnung ist das Licht ausgegangen. Und kein Siggi in Sicht.
»Was ist denn?«, erkundigt sich Dagmar.
»Der Kerl muss noch oben sein.«
»Wo?« Sie drängt sich neben mich und versucht, meinem Blick zu folgen.
»Erkerzimmer, vierter Stock«, flüstere ich, »und das Licht ist aus.«
»Gibt’s da ‘n Hinterausgang?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Dann sieht’s schlecht aus«, meint Dagmar, »dann isser wirklich noch oben.«
»Mensch, Dagmar!« Mir zerreißt es das Herz. »Was soll ich denn machen?«
Dagmar ballt die Faust. »Hau ihm eins auf die Nase!«
»Geht’s mir dann besser?«
»Nee«, Dagmar schüttelt den Kopf. »Aber du hast dich wenigstens gewehrt.«
»Rechtzeitig das Feld räumen«, wiederholt der Barmann, »ist wirklich das Beste.«
Ich starre hilflos zum gegenüberliegenden Haus.
»Auweia«, macht Dagmar, »den hat’s wirklich erwischt.«
»Eben«, nickt der Barmann mit tragischer Miene. »Bring ihn nach Hause, Daisy. Sing ihm ein La-le-lu!«
»Nee, lasst mal, Freunde.« Ich winke ab und lege einen Hunderter auf den Tisch. »Nichts für ungut, Dagmar. Der Rest ist für dich!«
»Nobler Abgang, Didi!« Sie gibt mir einen Kuss. »Hast was gut bei mir, okay?«
»Nacht«, sage ich und trete auf die Straße.
Eine Weile noch stehe ich vor Monikas Haus und starre nach oben. Soll ich raufgehen, Siggi aus der Wohnung schmeißen? Ihn so vertrimmen, dass er sich nicht mal mehr in die Nähe meines Kiezes wagt? Andererseits ist es Monikas Entscheidung, da kann ich nicht eingreifen, oder? Mann, Mann, Mann, was war mein Schöneberg früher für eine friedvolle Gegend. Und jetzt, wo die Mauer auf ist? Nur unruhestiftende Ossis. Puh. Ich lehne an einer Straßenlampe und stecke mir eine Zigarette an.
»An der Taverne vor dem großen Tor«, singt jemand in Abwandlung des Lale-Andersen-Klassikers, »steht eine Laterne und steht sie noch davor …«
Es ist Oleg, ein weißbärtiger Stoff- und Tuchhändler, der schon seit Jahrzehnten seinen berühmten Laden in der Akazienstraße hat. Mit den Händen in den Taschen schlendert er heran und lächelt.
»Heimweh?«
Ich schüttele den Kopf.
Oleg stellt sich neben mich und sieht an der Laterne hoch. »Komisch. Oben brennt noch Licht.«
Wir lachen beide. Seine Anspielung geht auf einen Witz zurück, den er mir vor Jahren erzählte: Eine Blondine sieht an einem Laternenpfahl einen Zettel. Vermiete große Dreizimmerwohnung, steht drauf, sehr günstig. Klar, denkt die Blondine, eine neue Wohnung wär ja mal nicht schlecht. Klopf ich doch mal und guck mir die Bude an. Und schon klopft sie an den Laternenpfahl. Macht aber keiner auf. Wie ärgerlich! Kommt eine Politesse vorbei und erkundigt sich bei der Blondine freundlich, ob es Probleme gebe. Na ja, sagt die Blondine, ich lese den Zettel hier am Laternenpfahl wegen der Wohnung und wollte mal gucken. Scheint aber keiner da zu sein. Ist doch seltsam, oder? Mhm. Die Politesse klopft ebenfalls an den Laternenpfahl und horcht. Absolute Stille. Kann doch nicht sein, denkt die Politesse und klopft noch mal an den Laternenpfahl. Ohne Erfolg. Komisch, dass keiner da ist, sagt die Politesse und schaut an der Laterne hoch, da oben brennt doch Licht!
»Besser?«, erkundigt sich Oleg.
»Viel besser«, nicke ich dankbar, »Nacht, Oleg.«
»Schlaf gut«, ruft er mir nach.
Davon kann keine Rede sein, denn ich habe wilde Träume: Melanie zwischen Punks auf brennenden Hausdächern. Leichen schaukeln an
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