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Tortenschlacht

Tortenschlacht

Titel: Tortenschlacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G Wachlin
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Ich muss das Kind nicht erziehen!« Im Gegenteil! Ich bin jahrzehntelang ohne Tochter bestens ausgekommen, und ich sehe nicht ein, warum ich mein Leben ab sofort mit diesem Siggi teilen muss. Das ist doch zum Kotzen!
    »Wir wollen doch nur gemeinsam überlegen, wie wir die Karre wieder aus dem Dreck ziehen können«, erklärt Siggi mit großväterlicher Miene. »Noch ist nichts verloren, Dieter.«
    Hat der sie noch alle? Keine Minute werde ich mit diesem Irren noch in einem Raum verbringen, keine Hundertstelsekunde! Das halte ich nicht aus.
    »Na, dann macht mal«, knurre ich und eile schnurstracks aus der Wohnung. Die spinnen doch.
    Die spinnen völlig, denke ich noch, als ich wieder auf der Akazienstraße stehe, die haben so ein Rad ab, das ist echt nicht auszuhalten!
    Wütend starre ich auf den verkehrswidrig in der Einfahrt abgestellten Jaguar.
    Ob das Siggis Wagen ist?
    Zuzutrauen wär’s dem Angeber. Macht jetzt auf hedonistischen Intellektuellen – diesen Wein hab ich aus einem Gut in Castiweißichwas, hohoho, Piemont, da verbringe ich meine Sommer!
    Und dann lutscht er wahrscheinlich den ganzen Tag auf Oliven rum, weil er denkt, es seien Kirschen. Oder hatten die im Osten etwa Oliven? Bestimmt nicht. Aber die Mon-Chérie-Reklame wird er kennen, die hat er heimlich im Westfernsehen geguckt. Und jetzt wundert er sich, warum die Piemontkirschen so bitter sind. Wahrscheinlich sind sie noch nicht reif, igitt, Chérie, guck mal, die sind ja noch ganz grün …
    Mann, regt mich der Kerl auf! Und so was fährt Jaguar!
    Gegenüber lockt der »Felsenkeller«, da könnte ich zur Beruhigung ein Bier trinken.
    Ich könnte da aber auch was ganz anderes tun – telefonieren zum Beispiel …
    … um die Karre aus dem Dreck zu ziehen?
    Ja, der Gedanke gefällt mir gut, und meine Laune wird schlagartig besser.
    Wart’s ab, Siggi, denke ich. Der böse Westen schlägt zurück!
    21    HERBERT GRAVENSTEIN lebte in einer kleinen, zum Wohnhaus ausgebauten mittelalterlichen Backsteinkirche. Alte Kirchenmöbel bildeten auch die Einrichtung: Madonnenstatuen und Messbecher standen dekorativ auf Simsen herum, es gab uralte, sorgsam restaurierte Truhen, und am Esstisch nahm man auf Kirchenbänken Platz. Auf dem gebrannten Ziegelboden lagen Schaffelle als Teppiche, überall verbreiteten Altarkerzen ein anheimelndes Licht. Die Küche ging offen ins Wohnzimmer über. Der gewaltige Herd, befeuert von Buchenholz, sorgte für Wärme im ganzen Haus. Eine urige Treppe führte ins Obergeschoss. Es war mit massiven, unbehandelten Holzbalken ins Kirchenschiff eingezogen worden, um Platz für Schlaf- und Kinderzimmer zu haben. Alles wirkte sehr gemütlich, war voller Individualität und Geschmack.
    Die Gravensteins hatten mindestens fünf Kinder, die lärmend durchs Haus tobten, und wirkten auf Hünerbein irgendwie alternativ. Im Westen hätte er sie in der Ökobewegung verortet. Friedrichs dagegen wusste, dass sie eng mit der DDR -Bürgerrechtsbewegung zu tun und zu Honeckers Zeiten Hauptstadtverbot hatten. Das war damals ein probates Mittel, um Regimegegner von Berlin fernzuhalten. Man ließ sie nicht rein. Und deshalb hatten sich die Gravensteins hier niedergelassen, vor den Toren der Stadt, in einer von den Kommunisten entweihten und dem Verfall preisgegebenen alten Dorfkirche.
    Herbert Gravenstein, ein früh ergrauter Mann mit Vollbart und schulterlangen Locken, bat die Kommissare zum Essen. Seine Frau, eine mädchenhafte Enddreißigerin mit fast knielangen Haaren, wartete mit einer Kürbiscremesuppe auf, und natürlich stammten alle Zutaten dafür aus eigenem Anbau.
    »Lecker«, lobte Hünerbein und langte ordentlich zu. Es gab auch selbst gebrautes Bier, aber da die Kommissare noch fahren mussten, hielten sie sich schweren Herzens zurück.
    Gravenstein berichtete von den Schwierigkeiten beim Aufbau der Bürgerinitiative. Man befinde sich »im Land der Hundertfünfzigprozentigen«, die Mehrzahl der Leute hier seien stramme Parteigänger der SED . Leute wie die Gravensteins oder auch Arndt galten als Nestbeschmutzer, Dissidenten und Feinde.
    »Arndt auch?« Hünerbein sah von seinem Teller auf.
    Gravenstein nickte. »Die Arndts waren hier mit ihrem Hof sozusagen das gallische Dorf. Als Einzige hatten sie sich Anfang der Sechziger gegen die Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft gewehrt. Mit Erfolg, doch der Preis dafür war hoch. Der alte Arndt starb im Zuchthaus Bautzen. Sein Sohn Jan Frido und Schwiegertochter Traudl hielten den

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