Tortenschlacht
Arndt hat gemerkt, was da auf seinem Feld angebaut wird, und sich den Jungen vorgeknöpft. Es kommt zum Streit, am Ende ist Arndt tot – würde er dann in seiner Scheune hängen? – Sicher nicht.«
»Das war keine Affekttat, richtig.« Auch Hünerbein stand auf. »Aber wenn der Junge vom alten Arndt unter Druck gesetzt wurde? Wenn er ihn erpresst hat und Sascha Pawlak um seine Geschäfte fürchten musste? Dann kann er ihn so beseitigt haben. Perfekt geplant. Er hat ein Motorrad, die Schuhgröße passt …« Hünerbein nickte bekräftigend. »Das könnte unser Mann sein.«
»Vielleicht«, Friedrichs löste sich vom Aktenschrank und ging zum Schreibtisch zurück, »vielleicht auch nicht. Die Schuhgröße passt auch zu Kowalski.« Er öffnete seine Tasche, holte einen alten, zerfledderten Aktenordner heraus und gab ihn Hünerbein.
»Was ist das?« Hünerbein schlug den Ordner auf. »Eine alte Ermittlungsakte?«
Friedrichs nickte. »Die wichtigen Stellen habe ich Ihnen angestrichen.«
Ein Bild fiel aus der Akte. Hünerbein bückte sich und hob es auf. Eine Schwarzweißaufnahme: Sie zeigte den verdrehten Körper einer weiblichen Leiche. Eindeutig war im Hintergrund die Arndtsche Scheune zu erkennen. »Fundort Rosemarie Huth« stand auf der Rückseite des Fotos und ein Datum: »22. Juni 1961«.
»Eine Mordermittlung?« Hünerbein setzte sich mit der Akte wieder an den Tisch. »Arndt wurde des Mordes an diesem Mädchen verdächtigt?«
»Mord und Vergewaltigung.« Friedrichs machte noch einen Tee. »Sie wollten ihn unbedingt drankriegen.«
»Aber er war’s nicht?«
»Jedenfalls konnte man es ihm nicht nachweisen.« Friedrichs lachte bitter auf. »Selbst bei uns nicht. Das will was heißen!« Er wartete, bis das Wasser kochte, und verschränkte die Arme über der Brust. »Rosemarie Huth war ein junges, hübsches Mädchen. Sie tauchte hier eines schönen Tages sozusagen aus dem Nichts auf und machte Arndt schöne Augen. Obwohl er verheiratet war. Und das alles in der Hochphase der Kollektivierung. Klickt da bei Ihnen was?«
»Sie meinen«, Hünerbein sah von der Akte auf, »dass dieses ›Mädchen Rosemarie‹ nicht zufällig hier auftauchte?«
»Im Ort wurde gemunkelt, dass man Arndts Widerstand sozusagen mit den Mitteln der Erotik aushöhlen wollte. Sexuelle Destruktion, wenn Sie so wollen.«
»Man«, fragte Hünerbein, »wer ist ›man‹?«
»Dreimal dürfen Sie raten.« Friedrichs nahm den brodelnden Wasserkocher von der Heizplatte und goss erneut Tee auf. »Für so was war bei uns nur eine Truppe zuständig. Aber hier ging die Sache wohl vollkommen in die Hose.« Er drehte sich wieder um und sah Hünerbein aus seinen unwirklich blauen Augen an. »An ihrem Todestag wollte Rosemarie wohl auspacken. Das wurde mit Erfolg verhindert. Dann hat man versucht, den Mord an ihr Arndt in die Schuhe zu schieben, aber das scheiterte.« Friedrichs schüttelte grinsend den Kopf. »Vielleicht hat die Stasi ja unerfahrene Lehrlinge mit dem Fall betraut. Jedenfalls wurde das Ding zum Bumerang. Die Ermittlungen führten immer weiter von Arndt weg in eine Richtung, die den Verantwortlichen wohl nicht gepasst hat.«
»Und dann?« Hünerbein ließ die Akte sinken.
»Nichts«, antwortete Friedrichs. »Die Sache wurde fallen gelassen, die Ermittlungen ergebnislos eingestellt.«
»Und Sie glauben jetzt, dass es zwischen dem Mord damals und dem Mord an Arndt eine Verbindung gibt?«
»Glauben tun religiöse Menschen«, erwiderte Friedrichs, »ich verlasse mich mehr auf meine Intuition.« Er zeigte auf die alte Akte in Hünerbeins Händen. »Das könnte ein Schlüssel sein. Fehlt nur noch das passende Schloss.«
Hünerbein verstand. »Kann ich die Akte mitnehmen?
»Deshalb habe ich sie Ihnen mitgebracht«, nickte Friedrichs.
29 AUF DER STRASSE rufe ich ein Taxi. Glücklicherweise kommt gleich eins vorbei. Ich zwänge diesen Leander Darkmann hinein und setze mich neben ihn auf die Rückbank. Der Taxifahrer glotzt skeptisch, als er den archaisch mit Stricken gefesselten Jungen sieht.
»Fahren Sie!« Ich halte dem Fahrer meinen Dienstausweis vor die Nase. »Das ist eine Polizeimaßnahme. Es geht in die Keithstraße.«
Der Taxifahrer gibt Gas. Ich ziehe ein Taschenmesser hervor und befreie den Jungen von den Fesseln.
»Haben sie dir was getan?«
Der Junge schweigt.
Total traumatisiert, denke ich. Weiß der Himmel, was Enzos Leute mit dem angestellt haben. Was das für Konsequenzen nach sich zieht. Wenn herauskommt,
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