Tortenschlacht
der Leiter der Inspektion M 1 durchaus berüchtigt für seine zuweilen sehr ruppige Art, Ermittlungen, wie er es sagt, »von ihren tönernen Füßen zu nehmen« und dafür buchstäblich auf den Kopf zu stellen, aber in der Arndt-Sache haben wir uns noch nichts zuschulden kommen lassen. Oder etwa doch?
»Ich bin gerade in einer Vernehmung.«
»Das sehe ich. Entlassen, den Mann, und mitkommen.«
»Das kann ich nicht!«
»Det könnse wohl.« Freudig springt Dark auf und blickt Palitzsch als seinen Retter dankbar an.
Der nickt kurz zu Tür. »Raus mit Ihnen!«
Das lässt sich Dark nicht zweimal sagen, und schon ist er weg.
Ich fasse es nicht. »Das war ein Verdächtiger«, rege ich mich auf, »zumindest ein wichtiger Zeuge im Mordfall Arndt!«
»Die Prioritäten haben sich verändert.« Palitzsch schließt hinter sich die Tür und setzt sich mit ernster, verschwörerischer Miene mir gegenüber an den Tisch. »Denken Sie, ich sprenge Ihre Arbeit nur aus Daffke?«
»Was ist denn los?« So durchgeknetet habe ich Palitzsch noch nie gesehen.
»Uns sitzt die Politik im Nacken, Knoop«, sagt Palitzsch mit unheildräuender Stimme, »sozusagen ‘ne Staatsaffäre, ein politischer Anschlag, was weiß ich? Und das so kurz vor der Einheit.« Er senkt den Blick und sieht mich über die Ränder seiner Brille hinweg an. »Wir haben die Identität Ihrer Leiche am Hüttenweg. Sie ahnen es nicht!« Er verdreht die Augen zum Himmel.
»Der Papst«, frage ich, »Aga Khan? Der Bundeskanzler?«
»Nun bleiben Sie mal auf dem Teppich, Knoop«, raunzt Palitzsch ungehalten.
»Momper kann’s nicht sein«, antworte ich, »den habe ich heute schon gesehen.«
»Werner von Lahn«, sagt Palitzsch betroffen, »der große Adelige der Berliner Opposition.«
Deshalb, denke ich entsetzt, deshalb habe ich heute zwar Momper gesehen, nicht aber den von Lahn.
»Ich habe den ganzen Vormittag versucht, ihn zu treffen.«
»Was?« Das findet Palitzsch ja höchst interessant. »Weshalb denn?«
Nicht weil ich mich für die Berliner Lokalpolitik sonderlich interessiere. Bislang war das nicht nötig, noch unterliegen wir alliierter Kontrolle. Das wirklich Wesentliche können unsere Abgeordneten also nicht falsch machen.
»Die Kollegen in Ostberlin hätten ihn gern zu einem Brandanschlag auf besetzte Häuser befragt.«
»Sind die verrückt?« Palitzsch ist außer sich. »Knoop, der Mann wurde als Wirtschaftssenator gehandelt!«
»Ja, und er ist Alteigentümer einiger Immobilien am Helmholtzplatz«, füge ich hinzu, »von denen eine Freitagnacht den Flammen zum Opfer fiel.«
»Meinen Sie, da gibt es einen Zusammenhang?« Palitzsch wartet meine Antwort nicht ab. »Hören Sie: Wir brauchen einen dringenden Fahndungserfolg! Wenn die Presse davon erfährt, und das wird sie, sind wir erst richtig unter Druck. Wir müssen schnell sein, verstehen Sie?« Er öffnet die Tür: »So, und jetzt gehen Sie in drei Teufels Namen! Graber erwartet Sie. Wir brauchen unverzüglich erste Ergebnisse. Danke!«
30 ICH BIN KEIN Freund des Leichenschauhauses der Berliner Rechtsmedizin in der Invalidenstraße. Leider muss man als Ermittler der Mordkommission viel zu oft dorthin. Und jedes Mal wird mir schlecht.
»Ah, Hauptkommissar Knoop«, ruft der Totengräber schon von Weitem, als er mich mit weichen Knien in den weiß gekachelten Raum wanken sieht, »schon wieder grün im Gesicht? Mensch, Haltung! Wir haben noch gar nicht angefangen!«
»Ich weiß schon, das ist Werner von Lahn«, murmele ich und hoffe, dass mir auch weiterhin die Pizza im Magen bleibt.
»Mehr noch: Der letzte Spross einer großen preußischen Familie!« Schwungvoll zieht der Rechtsmediziner eine seiner Kühlboxen auf. »Das Bankhaus von Lahn ist Ihnen doch ein Begriff?«
»Nee.« Ich bin bei der Sparkasse.
»Der Reichstag wurde von denen mitfinanziert. Auch ein beachtlicher Teil der Reparationen aus dem deutsch-französischen Krieg liefen über Konten des Lahnschen Bankhauses.« Der Totengräber beugt sich ehrfürchtig über die Leiche. »Ja, man kann sagen, hier liegt deutsche Geschichte. Sehen Sie nur: Habe ich ihn nicht wieder schön hinbekommen?«
Ich verzichte auf eine genauere Betrachtung der Leiche und stütze mich an einem Instrumentenwagen ab wie die Oma am Rollator.
»Ich dachte plötzlich, den Kerl kennste doch«, erzählt der Totengräber, »irgendein Empfang, oder war’s im Fernsehen? Und plötzlich war klar«, Graber schnippt – heureka, ich hab’s – mit den Fingern,
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