Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt
einzigartig, mit einem eigenen Gesicht, wie der Fingerabdruck des Bauern, der den Hof gebaut und bewohnt hatte. Jedes Mal wenn ich ein Haus betrat – auch wenn ich im offenen Kamin nur Spinnweben und versteckte Fledermäuse fand -, konnte ich die Geschichte der Menschen spüren, die hier geboren worden waren, hier gelebt hatten und innerhalb dieser Mauern gestorben waren. Es war, als ob ihr Geist hier weiterlebte. Diese alten Wohnhäuser beschäftigten mich derart, dass ich oft in der nächsten Bar versuchte mit den alten Männern ins Gespräch zu kommen, die sich vielleicht an die Häuser und an die Leute, die dort gewohnt hatten, erinnerten. Manchmal gelang es mir sogar, die früheren Bewohner selbst ausfindig zu machen. Immer waren sie über meine Neugier belustigt. Einige von ihnen freuten sich, mir bei einem Gläschen Grappa und einer Toscanello-Zigarre tausend und eine Geschichte über ein altes Haus zu erzählen, während ich stundenlang fasziniert zuhörte.
Die meisten hatten ihre alten Bauernhäuser in den Nachkriegsjahren verlassen, in einer Zeit der raschen Industrialisierung. Sie zogen in die benachbarten Städte, wo viele kleine Industriebetriebe entstanden. So leerten sich die Bauernhäuser, und die städtischen Siedlungen füllten sich. Wohnblocks schossen aus dem Boden wie Pilze nach dem Regen. Dort gab es jeden modernen Komfort: fließendes Wasser, Zentralheizung, ein Badezimmer in der Wohnung. Von einem solchen Luxus hatten die Bauern zuvor nur geträumt, und jetzt konnten sie ihn sich plötzlich leisten! Betrachtet man heute die schönen, in äußerst komfortable Ferienwohnungen umgebauten Steinhäuser, fällt es leicht, die Wahl jener Bauern zu kritisieren. Aber damals war das Leben hart, und für Romantik war kein Platz.
Paradox ist bloß, dass ich selbst in den Überresten dieses bäuerlichen Lebens eine fast unwiderstehliche Romantik entdeckte.
Januar und die Sportler
Ein Monat mit kalten, klaren Tagen, ab und zu von einer zaghaften Sonne gewärmt; bissige Ostwinde, leiser Regen und heftige Stürme. Das Land ist stumm und stumpf: grau, braun, purpurrot, rauchblau.
Das Chianti-Gebiet ist eine Kalksteingegend. Weinberge liegen neben dichten Wäldern, Büschen und felsigen Hügeln, die nur zum Teil bewachsen sind mit allerlei Sträuchern, Ginster und Farnen. In die Hügel haben die fünf wichtigsten Flüsse Pesa, Greve, Arbia, Ombrone und Staggia tiefe Täler gegraben. Hier ist die Pflanzenwelt üppiger, mit vielen Pappeln und Weiden. In den Nebentälern sind die Wasserläufe fast das ganze Jahr über ausgetrocknet, aber nach Regengüssen werden sie zu reißenden Bächen.
In den Wäldern wachsen hauptsächlich Eichen; ab und zu gesellen sich auch Kastanienbäume, Tannen und Buchen dazu. Die Eichen verlieren ihr Laub im Winter, aber die Blätter der immergrünen Wacholderbäumchen, der Tannen und Stechpalmen färben den Wald graugrün. Auch der Ginster, die roten Hartriegelstauden überall und die orangefarbenen Knäuel der Weidekronen versprühen Farbe, und prächtige Flechten setzen da und dort gelbe, orangefarbene und olivgrüne Akzente.
Im Garten blühen die ersten Schneeglöckchen und der Winterjasmin. An kühleren Tagen springen Eichhörnchen zankend von Baum zu Baum oder nagen eifrig an Tannenzapfen. Ihr Fell, in dieser Jahreszeit zunächst rötlich, wird dunkler, fast schwarz. Nachts begibt sich das Stachelschwein häufig auf Futtersuche. Der Hund hört es, tut aber so, als sei nichts los; er ist schon einmal von den spitzen Stacheln gestochen worden und bleibt lieber auf Distanz.
Auf den nackten Zweigen sitzen kleine, zitternde Vögel: Spatzen, Drosseln, Amseln und Rotkehlchen – aufmerksam, schüchtern und sehr vorsichtig. Man kann sie gut verstehen: Schon viele sind den zahlreichen Räubern in der Gegend zum Opfer gefallen.
Für mich ist der Januar ein träger Monat. Die meisten Touristen strömen erst im Frühjahr wieder in die Toskana. Landgasthöfe, Wirtshäuser und Reisebüros nutzen die flaue Zeit, um aufzuräumen und immer wieder aufgeschobene Arbeiten zu erledigen, damit sie für die neue Saison bereit sind. Nur große Hotels in der Stadt haben ein paar Gäste, aber ausgebucht sind auch sie bei weitem nicht. Jetzt die überreichen Kunststädte zu besuchen, ist eine gute Idee, denn die Preise sind niedriger, in den Restaurants muss der Tisch nicht vorbestellt werden, und vor den Museen bilden sich keine kilometerlangen Warteschlangen, wie sie in der Hochsaison
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