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Total Recall

Total Recall

Titel: Total Recall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Dürr (VS Mihr)
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ich hatte mir riesige Schilder und Neonreklamen vorgestellt. Ich hatte auch Filmkameras und abgesperrte Straßen erwartet, wo gerade eine Stuntszene für einen Film gedreht wurde. Aber davon keine Spur. »Was ist mit den Lichtern und den ganzen Sachen passiert?«, fragte ich.
    Sie sahen sich ratlos an. »Ich glaube, er ist enttäuscht«, meinte einer. »Vielleicht sollten wir noch einmal abends mit ihm herfahren.«
    »Ja genau, das ist eine gute Idee«, erklärten die anderen. »Tagsüber sieht man wirklich nicht viel.«
    Ein paar Tage später fuhren wir abends noch einmal nach Hollywood. Es gab ein paar Neonreklamen, aber ansonsten war es einfach langweilig. Daran musste ich mich wohl gewöhnen und mich nach anderen Orten umsehen, wo man sich amüsieren konnte.
    Ich verbrachte viel Zeit damit, mich zurechtzufinden und meine neue Heimat zu erkunden. Abends war ich oft bei Artie Zeller zusammen, dem Fotografen, der mich am Flughafen abgeholt hatte. Artie faszinierte mich. Er war sehr intelligent, hatte aber absolut keinen Ehrgeiz. Er mochte weder Stress noch Risiko. Er arbeitete hauptberuflich am Schalter eines kleinen Postamts. Ursprünglich stammte er aus Brooklyn, wo sein Vater Kantor der jüdischen Gemeinde war, ein sehr gelehrter Mann. Artie ging seinen eigenen Weg und kam auf Coney Island mit dem Bodybuilding in Kontakt. Als freier Mitarbeiter bei Weider avancierte er schnell zum besten Fotografen der Bodybuilding-Szene. Ich war beeindruckt, weil er Autodidakt war, unendlich viel las und einfach alles in sich aufnahm. Er war ein Naturtalent für Sprachen, ein wandelndes Lexikon und ein hervorragender Schachspieler. Außerdem war er ein überzeugter Demokrat, Liberaler und Atheist. Religion lehnte er ab, das sei alles Humbug. Es gebe keinen Gott, Punktum.
    Arties Frau Josie war Schweizerin, und obwohl ich versuchte, ausschließlich Englisch zu sprechen, war es gelegentlich doch ganz hilfreich, Leute zu kennen, die Deutsch konnten. Vor allem, wenn wir fernsahen. Als ich 1968 nach Amerika kam, war die Präsidentschaftswahl gerade in vollem Gang. Bis zur Wahl waren es noch drei oder vier Wochen. Man brauchte nur den Fernseher einzuschalten, schon wurde über den Wahlkampf berichtet. Artie und Josie übersetzten für mich die Reden von Richard Nixon und Hubert Humphrey. Humphrey sprach immer über den Sozialstaat und staatliche Programme, was mir viel zu österreichisch erschien. Nixons Reden über Chancen und Unternehmergeist klangen dagegen richtig amerikanisch für mich. »Wie heißt seine Partei noch gleich?«, fragte ich Artie.
    »Das sind die Republikaner.«
    »Dann bin ich Republikaner«, verkündete ich. Artie schnaubte, was er oft tat, weil er Probleme mit den Nasennebenhöhlen hatte und weil es vieles im Leben gab, das seiner Meinung nach ein verächtliches Schnauben verdiente.
    Wie versprochen, besorgte mir Joe Weider ein Auto – einen gebrauchten VW-Käfer, der mir ein Gefühl von Heimat gab. Um die Gegend besser kennenzulernen, fuhr ich zu verschiedenen Fitnessstudios. Ich freundete mich mit dem Leiter eines Studios in Downtown Los Angeles an, im damaligen Occidental Building. Ich fuhr ins Landesinnere und hinunter nach San Diego und sah mir dort die Studios an. Manchmal wurde ich auch auf Ausflüge mitgenommen und kam so nach Tijuana in Mexiko und nach Santa Barbara. Einmal fuhr ich zusammen mit vier anderen Bodybuildern im VW-Bus nach Las Vegas. Mit so viel Muskelmasse an Bord schaffte der Wagen nicht einmal 100 Stundenkilometer. Im Gegensatz zu Los Angeles entsprach Las Vegas mit seinen riesigen Casinos, den Neonlichtern und endlosen Reihen von Spielautomaten sofort meinen Erwartungen.
    Viele Champions im Bodybuilding trainierten im Vince’s im San Fernando Valley ganz in der Nähe meiner ersten Wohnung – beispielweise Larry Scott, der den Spitznamen »The Legend« trug und 1965 und 1966 den Titel des Mister Olympia gewonnen hatte. Im Vince’s gab es Teppichboden und viele schöne Geräte, aber das Studio war nicht fürs Krafttraining gedacht – Übungen wie Kniebeugen mit Langhantel, Bankdrücken und Schrägbankdrücken galten als altmodisch, weil sie angeblich aus der Zeit der Schwerathleten stammten und ungeeignet waren, den Körper zu modellieren.
    Im Gold’s gab es eine ganz andere Szene. Es ging rau zu, hier trainierten die Monster – Olympiasieger im Kugelstoßen, Profiwrestler, Bodybuilding-Champions und Kraftakrobaten, die auf der Straße auftraten. Fast niemand trug

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