Total Recall
Gefühl hatte, dass ich bei der Vorbereitung alles gegeben hatte. Meine Zeit war einfach noch nicht gekommen. Aber das hier war etwas anderes. Meine Muskeln waren nicht so klar definiert, wie sie hätten sein können. Ich hätte in der Woche vor dem Wettkampf Diät halten und nicht so viel Fish and Chips essen sollen. Ich hätte eine Möglichkeit finden können, mehr zu trainieren, auch wenn ich nicht die richtigen Geräte hatte – ich hätte tausend Wiederholungen beim Bauchmuskeltraining oder sonst etwas machen können, um besser vorbereitet zu sein. Ich hätte an meinen Posen arbeiten können – nichts hätte mich daran gehindert. Unabhängig vom Urteil der Kampfrichter musste ich zugeben, dass ich bei der Vorbereitung nicht alles gegeben hatte. Stattdessen hatte ich gedacht, der Sieg in London würde mir genügend Energie geben. Ich hatte gedacht, ich könnte ein bisschen entspannen, weil ich gerade den Titel des Mister Universum gewonnen hatte. Das war Unsinn.
Wenn ich nur daran dachte, wurde ich wütend. »Obwohl du in London bei den Profis Mister Universum geworden bist, bist du immer noch ein verdammter Amateur«, sagte ich mir. »Was hier passiert ist, hätte nie passieren dürfen. So etwas passiert nur einem Amateur. Arnold, du bist ein Amateur.«
In Amerika zu bleiben, überlegte ich, würde auch bedeuten, mich nicht länger wie ein Amateur zu verhalten. Hier würde meine Karriere erst so richtig beginnen. Vor mir lag viel Arbeit. Ich musste ein echter Profi werden. Nie wieder wollte ich einen Wettbewerb so bestreiten wie in Miami. Wenn ich Bodybuilder wie Sergio Oliva schlagen wollte, durfte mir so etwas nie wieder passieren. Wenn ich von nun an verlieren würde, konnte ich die Niederlage mit einem Lächeln abtun, weil ich wusste, dass ich alles gegeben hatte.
Kapitel 5
Grüße aus Los Angeles
Von meiner Ankunft 1968 in Los Angeles gibt es ein Foto. Ich bin einundzwanzig Jahre alt, trage eine zerknitterte braune Hose, klobige Schuhe und ein billiges Hemd. Ich habe eine abgewetzte Plastiktüte mit ein paar Sachen in der Hand und warte an der Gepäckausgabe auf meine Sporttasche, in der sich mein restlicher Besitz befindet. Ich sehe aus wie ein Flüchtling, ich kann nur ein paar Sätze Englisch und habe kein Geld – aber auf meinem Gesicht liegt ein breites Grinsen.
Ein Fotograf und ein Reporter dokumentierten meine Ankunft für die Zeitschrift Muscle & Fitness . Joe Weider hatte ihnen aufgetragen, mich abzuholen, mir die Stadt zu zeigen und meine Reaktion und die Geschichten, die ich ihnen erzähle, in einem Artikel zu schildern. Er wollte mich als aufstrebenden jungen Star präsentieren. Er hatte mir angeboten, ein Jahr lang in Amerika mit den Champions zu trainieren. Er bezahlte mir Kost und Logis. Ich musste nur mit einem Übersetzer zusammenarbeiten und für seine Zeitschriften Artikel über meine Trainingsmethoden schreiben, ansonsten konnte ich mich voll auf mein Training und meinen Traum konzentrieren.
Das schöne neue Leben, das ich mir erträumte, wäre eine Woche später fast schon wieder vorbei gewesen. Einer meiner neuen Bodybuilder-Freunde, ein australischer Kraftsportler und Krokodilringer, hatte mir sein Auto geliehen. Einen Pontiac GTO mit über 350 PS. Ich hatte noch nie einen so unglaublichen Wagen gefahren. Schon nach wenigen Minuten brauste ich im Autobahntempo über den Ventura Boulevard. Es war ein kühler und nebliger Oktobermorgen, doch ich musste erst noch lernen, dass die Straßen in Kalifornien bei Nieselwetter sehr glatt sein können.
Ich wollte gerade vor einer Kurve runterschalten, und Schalten war für mich eigentlich kein Problem, weil in Europa fast alle Fahrzeuge eine Gangschaltung hatten, einschließlich der Lastwagen beim Bundesheer und meines zerbeulten alten Autos in München. Doch durch das Schalten wurden die Hinterräder des GTO abrupt langsamer und verloren auf der Straße den Halt.
Der Wagen schleuderte wild und drehte sich zwei- oder dreimal um die eigene Achse. Ich verlor völlig die Kontrolle, und obwohl ich wahrscheinlich nur noch knapp 50 Stundenkilometer schnell war, geriet ich auf die Gegenfahrbahn, wo im morgendlichen Berufsverkehr zahlreiche Fahrzeuge unterwegs waren. Ein VW-Käfer rammte mich auf der Beifahrerseite, kurz darauf traf mich ein zweiter Wagen. Weitere vier oder fünf Fahrzeuge folgten und vervollständigten die Massenkarambolage.
Der GTO und ich landeten dreißig Meter von meinem eigentlichen Zielort entfernt,
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