Total Recall
nett.« Erst viel später wurde mir klar, dass ich bei meiner Ankunft in den USA einen ganz besonderen Zeitpunkt erwischt hatte. Es war die Zeit der Hippies, die Zeit der freien Liebe. Es fand gerade ein unglaublicher Wandel in der Gesellschaft statt. Der Vietnamkrieg war in seiner heißesten Phase. Richard Nixon sollte bald zum Präsidenten gewählt werden. Die Amerikaner hatten damals das Gefühl, dass die Welt kopfstand. Ich wusste nicht, dass das nicht schon immer so gewesen war. »Das ist also Amerika«, dachte ich, »das ist wirklich ein völlig anderes Land als Österreich.«
Ich bekam nicht viele Diskussionen über Vietnam mit. Mir persönlich sagte die Vorstellung sehr zu, dass Amerika den Kommunismus in Fernost zurückdrängte. Wenn mich also jemand gefragt hätte, hätte ich gesagt, dass ich für den Krieg sei. Wahrscheinlich hätte ich es eher so formuliert: »Verdammte Kommunisten, ich hasse sie.« In Österreich hatten die meisten Menschen so gedacht. Wir lebten dort nun einmal in ständiger Angst vor dem Kommunismus. Würden die Sowjets in Österreich einmarschieren wie 1956 in Ungarn? Oder würden wir bei einem Atomkrieg zwischen die Fronten geraten? Die Gefahr war so nah. Außerdem sahen wir die Auswirkungen des Kommunismus auf die Tschechen, Polen, Ungarn, Bulgaren, Jugoslawen und Ostdeutschen. Österreich war praktisch umgeben von kommunistischen Ländern. Ich weiß noch, wie ich anlässlich einer Bodybuilding-Messe nach Westberlin reiste. Ich schaute dort über die Mauer und sah, wie trist das Leben jenseits der Grenze war. Das waren praktisch zwei unterschiedliche Wetterlagen. Ich hatte das Gefühl, ich würde in der Sonne stehen und auf der anderen Seite der Mauer würde es regnen. Es war furchtbar. Daher fand ich die Wahl Nixons zum Präsidenten gut. Ich befürwortete, dass er zurückschlug und es den Kommunisten so richtig zeigte. Er hasste Kommunisten? Sehr gut.
Die Mädchen, mit denen ich ausging, schminkten sich nicht, trugen keinen Lippenstift und keinen Nagellack. Ich dachte mir nichts dabei und hielt behaarte Beine und Unterarme für normal, weil sich die Frauen in Europa auch nicht rasierten oder die Härchen mit Wachs entfernten. Ich war sogar überrascht, als mich eines Morgens im Sommer eine Freundin beim Duschen fragte – wir hatten uns am Abend zuvor auf meinem kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher die Mondlandung angesehen: »Übrigens, hast du einen Rasierer?«
»Wozu brauchst du einen Rasierer?«
»Ich hasse die Stoppeln an meinen Beinen.« Ich kannte das englische Wort für Stoppeln nicht – nubs –, und sie musste es mir erklären.
»Was?«, rief ich. »Du rasierst dich?«
»Ja, ich rasiere mir die Beine. Haare sind eklig.« Das Wort für eklig kannte ich auch nicht – gross . Trotzdem gab ich ihr meinen Rasierer und sah zu, wie sie sich die Schienbeine und Waden einseifte und rasierte, als wenn es das Normalste der Welt wäre. Später erzählte ich den Jungs im Fitnessstudio: »Heute hat sich ein Mädchen in meiner Dusche rasiert . Habt ihr sowas schon mal gesehen?«
Sie schauten sich an und nickten mit ernster Miene: »Allerdings.« Dann brachen sie in lautes Gelächter aus. Ich versuchte es ihnen zu erklären: »Also, in Europa bevorzugen die Mädchen den bayerischen Stil, ihr wisst schon, überall Haare.« Daraufhin lachten sie nur noch lauter.
Irgendwie reimte ich es mir schließlich zusammen: Die meisten Mädchen, mit denen ich ausging, rasierten sich nicht. Damit protestierten sie gegen das Establishment. Ihrer Meinung nach symbolisierte die Kosmetikindustrie die Unterdrückung der Frau, daher lehnten sie sie ab und pflegten einen natürlicheren Lebensstil. Das gehörte einfach zur Hippiezeit. Die bunten Kleider, die langen Haare, das gesunde Essen. Und alle trugen Perlen. Viele Perlen. Sie brachten Räucherstäbchen mit in meine Wohnung, bis alles völlig verräuchert war. Das war natürlich nicht so toll, aber ich fand ihre Einstellung gut, zu der auch gehörte, dass man mal einen Joint rauchte und dass Nacktheit etwas Natürliches war. Das war großartig. Ich kannte das ein bisschen aus meiner Jugend, aus der ungehemmten Zeit am Thalersee.
Diese entspannte Haltung gefiel mir gut, aber meine Ziele in Amerika waren andere, und die waren klar definiert: Ich musste wie verrückt trainieren, streng Diät halten, das Richtige essen und im Herbst mehrere wichtige Titel gewinnen. Weider hatte mir ein Jahr Zeit gegeben, und ich wusste, wenn ich es schaffen würde,
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