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Total Recall

Total Recall

Titel: Total Recall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Dürr (VS Mihr)
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beste!«
    Sie überlegte: »Du meinst … Steinbock?«
    »Richtig!«, rief ich. »Woher wusstest du das?«
    »Also, das ist wirklich irre, Steinbock passt so gut zu mir, und wir verstehen uns ohnehin so gut, also das ist … wow!« Sie war ganz aufgeregt. Ich machte mich daher schlau über Sternzeichen, lernte die Eigenschaften, die man mit dem jeweiligen Sternzeichen in Verbindung bringt, und wer zu wem passt.
    Das Gold’s Gym war der ideale Ort, um Freundschaften zu schließen. Hier kamen Sportler aus aller Welt zusammen – Australier, Afrikaner, Europäer. Wenn ich morgens trainierte, sagte ich irgendwann zu den anderen: »Hey, kommt ihr mit mittagessen?« Dann erzählten sie mir ihre Lebensgeschichte, und ich erzählte ihnen meine, und wir wurden Freunde. Abends war ich wieder zum Trainieren im Studio und traf andere Typen, mit denen ich dann abendessen ging.
    Ich staunte, wie schnell mich die Leute zu sich nach Hause einluden und wie gern die Amerikaner feierten. Ich hatte in meiner Kindheit nie Geburtstag gefeiert, ich kannte nicht einmal einen Geburtstagskuchen mit Kerzen. Doch ein Mädchen lud mich zu ihrem Geburtstag ein, und als ich im Sommer darauf Geburtstag hatte, empfingen mich die Jungs im Fitnessstudio mit einem Kuchen und Kerzen. Manchmal sagte jemand so etwas wie: »Ich muss heute früher nach Hause, meine Schwester hat ihren ersten Schultag, da wird gefeiert.« Oder: »Meine Eltern feiern heute ihren Hochzeitstag.« Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass meine Eltern ihren Hochzeitstag auch nur erwähnt hätten.
    Für Thanksgiving hatte ich natürlich nichts geplant, weil ich den Feiertag nicht kannte. Doch Bill Drake nahm mich ganz selbstverständlich mit zu sich nach Hause. Ich lernte seine Mutter kennen, die ein phänomenales Essen auftischte, und seinen Vater, einen professionellen Komiker, der auch privat unglaublich witzig war. Ich wollte der Mutter ein Kompliment machen, weil sie so fantastisch gekocht hatte, und sagen, dass ich sie »zum Fressen gern« hätte, doch wegen meiner Übersetzungsschwierigkeiten klang der Satz wohl ziemlich anstößig. Die ganze Familie konnte sich kaum halten vor Lachen.
    Noch überraschter war ich, als das Mädchen, mit dem ich gerade ging, mich zu Weihnachten ins Haus ihrer Eltern einlud. Ich dachte mir: »Mein Gott, ich will die Familie doch nicht am Feiertag stören.« Doch ich wurde aufgenommen wie ein Sohn und bekam sogar von jedem Familienmitglied ein Geschenk.
    Diese Gastfreundschaft war neu für mich und natürlich höchst willkommen, allerdings machte ich mir Gedanken, weil ich nicht wusste, wie ich mich dafür revanchieren sollte. Beispielsweise hatte ich noch nie etwas von einer Dankeskarte gehört, und die Amerikaner schienen ständig solche Karten zu verschicken. »Wie merkwürdig«, dachte ich. »Warum kann man nicht einfach anrufen oder einem Freund aus dem Fitnessstudio sagen: ›Vielen Dank für das Besteck‹ oder ›Vielen Dank, das war ein wunderbarer Abend‹?« So machten wir das in Europa. Aber wenn Joe Weider mich und meine Freundin zum Abendessen einlud, sagte meine Freundin danach: »Du musst mir seine Adresse geben, ich möchte ihm eine Dankeskarte schicken.«
    Ich sagte dann: »Ach komm, wir haben uns doch bedankt, als wir uns verabschiedet haben.«
    »O nein, kommt nicht infrage, ich weiß, was sich gehört.«
    Ich begriff, dass ich mich am besten anpasste und die amerikanischen Benimmregeln lernte. Vielleicht galten sie ja auch in Europa, ohne dass ich es wusste? Ich fragte meine Freunde in Europa, doch mir war nichts entgangen. In den USA wurde das einfach anders gehandhabt.
    Um das Land möglichst schnell kennenzulernen, hatte ich es mir zur Regel gemacht, nur mit Amerikanerinnen auszugehen. Ich wollte nicht mit Mädchen zusammen sein, die Deutsch konnten. Außerdem meldete ich mich bald nach meiner Ankunft zu einem Englischkurs am Santa Monica Community College an. Ich wollte so schnell wie möglich in der Lage sein, Zeitungen und vor allem Lehrbücher zu lesen, damit ich auch Kurse in anderen Studienfächern belegen konnte. Mein Ziel war es, wie ein Amerikaner zu denken, zu lesen und zu schreiben, ich wollte nicht warten, bis ich die Sprache einfach so aufgeschnappt hatte.
    An einem Wochenende nahmen mich ein paar Mädchen mit nach San Francisco, wo wir einfach im Golden Gate Park übernachteten. Ich dachte: »Unglaublich, wie frei die Leute in Amerika sind. Schau dir das an! Wir schlafen nachts im Park, und alle sind

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