Tote erinnern sich (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
Klippe geführt, und die weiche Hand von Moira Kirowan hat mich zurückgezerrt. Und ihre Berührung hat die gefrorenen Kanäle meines Herzens gelöst und mir den Frieden gebracht. Denn die Wand, die die Lebenden von den Toten trennt, ist nur ein dünner Schleier, das weiß ich jetzt. Und so sicher wie die Liebe einer toten Frau den Hass eines toten Mannes besiegt hat, so sicher werde ich eines Tages im Jenseits meine Schwester wieder in meinen Armen halten.
Das Tal der Verlorenen
So wie ein Wolf nach seinen Jägern Ausschau hält, so beobachtete John Reynolds seine Verfolger. Er lag in einem Dickicht am Hang, und in seinem Herzen kochte ein flammendes Inferno des Hasses. Es war ein harter Ritt gewesen, den Abhang hinauf, auf dem sich hinter ihm der kaum wahrnehmbare Pfad aus dem Lost Valley nach oben schlängelte. Sein schielender Mustang stand mit gesenktem Kopf und zitternd von dem langen Lauf hinter ihm. Unter ihm, keine hundert Meter entfernt, standen seine Feinde, die gerade seine Verwandten hingeschlachtet hatten.
Auf der Lichtung vor der Ghost Cave waren sie aus dem Sattel gestiegen und diskutierten jetzt miteinander. John Reynolds kannte sie alle, empfand für sie tiefen, bitteren Hass. Die schwarzen Schatten alter Feindschaft lagen zwischen ihnen.
Chronisten der Fehden in den Bergen von Kentucky haben jene in den Anfangszeiten von Texas vernachlässigt, doch die Männer, die als Erste den Südwesten besiedelten, waren vom selben Schlag wie diese Bergbewohner. Doch eines war anders: Im Bergland schleppten sich Fehden über Generationen hin, an der Grenze in Texas waren sie kurz, wild und entsetzlich blutig.
Für eine Texas-Fehde war die zwischen den Reynolds und den McCrills recht lang – fünfzehn Jahre waren verstrichen, seit der alte Esau Reynolds in einem Streit über Weiderechte in dem Saloon von Antelope Wells den jungen Braxton McCrill mit seinem Bowiemesser erstochen hatte. Fünfzehn Jahre lang hatten die Reynolds und ihre Sippe, die Brills, die Allisons und die Donnellys, mit den McCrills und deren Sippe, den Killihers, den Fletchers und den Ords, Krieg geführt. Es hatte Überfälle im Hügelland gegeben, Morde auf offener Weide und Revolverkämpfe auf den Straßen der kleinen Rinderstädte. Beide Clans hatten das Vieh der Gegenseite gestohlen, in großen Mengen sogar. Von beiden Seiten angeheuerte Revolverhelden und Banditen hatten ein Regime des Schreckens und der Gesetzlosigkeit im Land verbreitet. Siedler machten einen weiten Bogen um das vom Krieg zerrissene Weideland. Die Fehde hatte sich zu einer blutigen Hürde entwickelt, die dem Fortschritt und der weiteren Entwicklung im Wege stand – ein schlimmer Rückfall in vergangene Zeiten, der die ganze Gegend demoralisierte.
Dem kleinen John Reynolds war das wichtig. Er war inmitten dieser Feindseligkeit aufgewachsen, sie hatte für ihn zwanghafte Dimensionen angenommen. Der Krieg hatte beiden Clans einen schrecklichen Blutzoll abverlangt, aber die Reynolds hatten am meisten gelitten. John war der letzte der kämpfenden Reynolds, denn der alte Esau, der grimmige alte Patriarch, der über den Clan herrschte, würde nie wieder im Sattel sitzen oder auch nur einen Schritt gehen, denn die Kugeln der McCrills hatten seine Beine gelähmt. John hatte mit eigenen Augen gesehen, wie seine Brüder aus dem Hinterhalt niedergeschossen oder in heftigen Kämpfen getötet worden waren.
Jetzt hatte der letzte Schlag den im Schwinden begriffenen Clan so gut wie ausgelöscht. Bei dem Gedanken an die Falle, in die er in dem Saloon in Antelope Wells getappt war, stieß John Reynolds eine stumme Verwünschung aus. Ihre Feinde hatten dort aus dem Versteck und ohne Warnung ihr mörderisches Feuer eröffnet. Sein Vetter Bill Donnelly, der Sohn seiner Schwester, der junge Jonathon Brill, sein Schwager, Job Allison, und Steve Kerney, ein bezahlter Revolvermann, waren dort gefallen. John Reynolds wusste selbst nicht, wie er es geschafft hatte, sich den Weg freizuschießen und, ohne vom Kugelhagel erwischt zu werden, aus dem Saloon nach draußen zu kommen, wo sein Pferd angebunden war. Aber sie waren so dicht hinter ihm gewesen, dass er keine Zeit gehabt hatte, seinen langgliedrigen Braunen zu besteigen, vielmehr hatte er sich gezwungen gesehen, das erste Pferd zu nehmen, das er erreichte – den schielenden, schnellen, aber kurzatmigen Mustang des toten Jonathon Brill.
Eine Weile hatte er seine Verfolger auf Abstand halten können – er hatte es bis in die
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