Tote erinnern sich (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
Invasion der Normannen ihre Macht brach. Alle Ehre den O’Connors. In der alten Zeit kämpften meine Leute unter ihren Bannern – aber jeder Baum hat eine verfaulte Wurzel. Jedes große Haus hat sein schwarzes Schaf. Dermod O’Connor war das schwarze Schaf seines Clans, nie hat ein schwärzeres gelebt.
Seine Hand hob sich gegen alle Männer, selbst gegen sein eigenes Haus. Er war kein Häuptling, der darum kämpfte, die Krone von Erin zurückzugewinnen oder sein Volk zu befreien, er war ein Räuber mit blutigen Händen und er raubte gleichermaßen von Normannen und Kelten; er überfiel Orte jenseits der Grenzen und trug Schwert und Fackel nach Munster und Leinster. Die O’Briens und die O’Carrolls hatten allen Anlass, ihn zu verfluchen, und die O’Neills jagten ihn wie einen Wolf.
Wohin auch immer er ritt, hinterließ er eine Spur von Blut und Verwüstung, und als seine Bande am Ende zusammenschrumpfte, weil viele ihn verließen und die ständigen Kämpfe ihren Tribut forderten, blieb er allein übrig, verbarg sich in Höhlen und auf Hügeln und erschlug aus reiner Blutgier, die ihn kennzeichnete, einsame Reisende und stürzte sich auf die Häuser einsamer Farmer oder die Hütten der Schäfer, um an deren Weibsvolk Grausamkeiten zu begehen. Er war ein Hüne von einem Mann, und die Legenden machen aus ihm etwas Unmenschliches und Monströses. Doch die Wahrheit muss sein, dass er seltsam und von schrecklichem Aussehen war.
Doch dann kam sein Ende. Er ermordete einen Jüngling des Kirowan-Clans, und die Kirowans ritten mit Rache im Herzen aus der Stadt Galway. Sir Michael Kirowan trat dem Marodeur in den Bergen allein entgegen – Sir Michael, ein direkter Vorfahr von mir, dessen Namen ich trage. Sie kämpften allein, und nur die schaudernden Berge wurden Zeugen jenes schrecklichen Kampfes, bis das Klirren des Stahls an die Ohren des übrigen Clans drang, die in Gewaltritten die Gegend durchstreiften.
Sie fanden Sir Michael schwer verwundet und Dermod O’Connor im Sterben, mit gespaltenem Schulterknochen und einer grausigen Wunde in der Brust. Doch ihre Wut und ihr Hass waren so groß, dass sie dem sterbenden Räuber eine Schlinge um den Hals warfen und ihn an einem großen Baum am Rand einer Klippe, die das Meer überblickt, aufknüpften.
»Und«, sagte mein Freund, der Schäfer, und stocherte im Feuer herum, »die Bauern zeigen immer noch auf den Baum und nennen ihn nach Art der Dänen Dermod’s Bane, Dermods Verderben. Des Nachts haben Männer den großen Banditen gesehen, haben gehört, wie er mit den mächtigen Zähnen knirschte, gesehen, wie ihm das Blut aus der Schulter und der Brust spritzte, und wie er dabei über die Kirowans und ihr Blut für alle Zukunft alle möglichen Verwünschungen ausstieß.
Und so, Herr, solltet Ihr des Nachts nicht in die Klippen über dem Meer gehen, denn Ihr seid von dem Blut, das Dermod hasst, und Ihr tragt denselben Namen wie der Mann, der ihn bezwang. Lacht nur, wenn das Euer Wille ist, aber in dunklen Nächten, wenn kein Mond am Himmel steht, ist der Geist von Dermod O’Connor, dem Wolf, mit seinem großen, schwarzen Bart, seinen schrecklichen Augen und seinen Eberzähnen unterwegs.«
Sie zeigten mir den Baum, Dermod’s Bane, und er wirkte auf seltsame Weise wie ein Galgen, stand da, wie er viele hundert Jahre da gestanden hatte, ich weiß nicht wie lange, denn die Menschen in Irland leben lang, und die Bäume noch länger. Weit und breit gab es keinen anderen Baum, und die Klippe ragte steil einhundertzwanzig Meter aus dem Meer empor. Darunter war nur das tiefe, düstere Blau der Wellen, dunkel und tief, und brach sich an den grausamen Felsen.
Ich wanderte oft nachts durch die Hügel, denn wenn das Schweigen der Dunkelheit über der Welt lag und der Lärm und die Worte der Menschen nicht in meine Gedanken drangen, lag mein Leid wieder dunkel auf meinem Herzen, und ich schritt über die Hügel, wo die Sterne mir nah und warm erschienen. Und mein verwirrtes Gehirn fragte sich oft, auf welchem Stern sie war oder ob sie sich in einen Stern verwandelt hatte.
Eines Nachts stellte sich die alte, scharfe Qual wieder in unerträglicher Weise ein. Ich stieg aus meinem Bett – ich hielt mich zu der Zeit in einem kleinen Berggasthof auf –, zog mich an und ging in die Hügel. Meine Schläfen pochten, und ein unerträgliches Gewicht lastete auf meinem Herzen. Meine zu Eis erstarrte Seele schrie zu Gott, aber ich konnte nicht weinen. Ich hatte das Gefühl, weinen zu
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