Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
Jeansstoff hatten, waren rot gerändert. In den Augenwinkeln hatte sich gelblicher Grind angesammelt, den er mit einem teigig-bleichen Finger entfernte. Um den Hals trug er an einer silbernen Kette ein Metallkreuz, so groß wie meine Hand.
Am späten Nachmittag war ich heimgekommen, hatte das Telefon leise gestellt und war schlafen gegangen. In meinen Träumen waren Menschen, die ich kannte, und mir vollkommen fremde Gestalten in einer nicht enden wollenden Parade an mir vorbeigezogen. Ryan hatte Gabby in ein Haus mit zugenagelten Fenstern und Türen verfolgt, und Pete hatte zusammen mit Claudel in meinem Garten eine Grube ausgehoben. Katy war auf einem braunen Plastiksack auf der Terrasse eines Strandhauses in der sengenden Sonne gelegen und hatte sich geweigert, eine Sonnencreme zu verwenden. Zu guter letzt war mir dann auch noch eine bedrohliche Gestalt auf dem Boulevard St. Laurent hinterhergeschlichen.
Nachdem ich mehrmals hochgeschreckt war, war ich um acht Uhr abends mit schmerzendem Kopf und leerem Magen aufgestanden. An der Wand hinter dem Telefon hatte ich einen rhythmisch pulsierenden, rötlichen Lichtschein gesehen. Blink, blink, blink. Dunkel. Blink, blink, blink. Drei Anrufe. Ich war hinüber zu dem Anrufbeantworter geschlurft und hatte den Abspielknopf gedrückt.
Der erste Anrufer war Pete gewesen. Er überlegte sich, ob er bei einer Anwaltskanzlei in San Diego einsteigen sollte. Toll. Katy spielte mit dem Gedanken, ihre Ausbildung abzubrechen. Super. Der dritte Anrufer hatte aufgelegt. Er zumindest hatte mir keine schlechte Nachricht aufs Band gesprochen. Noch immer kein Sterbenswörtchen von Gabby. Klasse.
Das anschließende zwanzigminütige Telefongespräch mit Katy hatte auch nicht gerade zu meiner Beruhigung beigetragen. Sie war höflich, aber unverbindlich gewesen, und am Schluß hatte sie nach längerem Schweigen gesagt: »Ich ruf dich wieder an« und aufgelegt. Ich hatte die Augen geschlossen, war eine Weile reglos dagestanden und hatte an Katy gedacht, wie sie im Alter von dreizehn Jahren auf ihrem Appaloosa gesessen war. Sie hatte den Kopf an den des Pferdes geschmiegt, so daß ihr blondes Haar auf dessen dunkler Mähne gelegen war. Pete und ich hatten sie im Ferienlager besucht, und als sie uns gesehen hatte, war sie mit freudig erregtem Gesicht aus dem Sattel gesprungen und hatte mich umarmt. Wann, so hatte ich mich nach unserem Telefongespräch gefragt, war diese Nähe auf der Strecke geblieben? Warum war Katy so unglücklich? Warum wollte sie mit der Schule aufhören? War es Petes und meine Schuld? War es wegen unserer Trennung?
Voller mütterlicher Schuldgefühle hatte ich die Nummer von Gabbys Wohnung gewählt, aber niemand hatte abgehoben. Gabby war schon einmal ganze zehn Tage verschwunden gewesen. Ich hatte mir damals schreckliche Sorgen gemacht, aber dann war sie wieder aufgetaucht und hatte mir erzählt, daß sie auf einem Trip in ihr Inneres gewesen sei. Vielleicht war sie auch jetzt wieder unerreichbar, weil sie sich selbst zu finden versuchte.
Ich hatte meine Kopfschmerzen mit zwei Aspirin bekämpft und meinen Hunger mit einer Portion Nummer vier spezial in der Singapur-Imbißstube um die Ecke gestillt. Gegen meine Unzufriedenheit hatte allerdings beides nicht geholfen, und auch die Tauben im Park konnten sie ebensowenig vertreiben wie mein merkwürdiger Banknachbar. In meinem Kopf prallten Fragen aneinander wie die Fahrzeuge beim Autoscooter. Wer war dieser Mörder? Wie fand er seine Opfer? Hatten sie ihn gekannt? Hatte er erst ihr Vertrauen gewonnen und sich dann in ihre Wohnungen geschlichen? Margaret Adkins war zu Hause umgebracht worden. Aber wo hatte er Trottier und Gagnon getötet? An einem Ort, den der Mörder ausgesucht hatte? Hatte er sie dort auch zerstückelt? Wie bewegte sich der Mörder von Ort zu Ort? Und war es St. Jacques?
Ich starrte die Tauben an, ohne sie wirklich zu sehen. Ich stellte mir die Opfer und ihre Angst vor. Chantale Trottier war erst sechzehn Jahre alt gewesen. Hatte er ihr das Messer an die Kehle gesetzt? Ab wann hatte sie gewußt, daß sie sterben würde? Hatte sie ihn angefleht, ihr nicht wehzutun? Hatte sie um ihr Leben gebettelt? Wieder kamen mir Bilder von Katy vor Augen. Und von den Katys anderer Eltern. Und ich spürte ein Mitgefühl, das fast wehtat.
Ich brach diese Gedanken ab und konzentrierte mich auf die Gegenwart. Und die nahe Zukunft. Am nächsten Morgen würde ich im Labor die Knochenfunde von heute untersuchen, mich mit
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