Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
verschleierten Augen an. Sie nahm einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette, wartete eine Weile und blies dann den Rauch über ihre vorgeschobene Unterlippe nach oben aus. Im blinkenden Neonlicht der Hotelreklame, die Poirettes kakaobraune Haut abwechselnd in einen roten und blauen Schimmer tauchte, sah der Rauch wie beleuchteter Nebel aus. Ohne ein Wort zu sagen, wandte sie ihre dunklen Augen von meinem Gesicht und schaute wieder den Männern auf dem Gehsteig hinterher.
»Was willst du von uns, chère?« fragte die andere Frau mit tiefer, kratziger Stimme.
Sie sprach Englisch mit einem typischen Louisiana-Akzent, der durch lange Pausen zwischen den einzelnen Worten charakterisiert wird. Die Frage klang nach Hyazinthen und Zypressensümpfen, Gumbo und Cajunmusik und nach dem Zirpen der Zikaden in einer lauen Sommernacht. Die Frau war älter als Poirette.
»Ich bin eine Freundin von Gabrielle Macaulay. Wissen Sie vielleicht, wo ich sie finden kann?«
Die Frau schüttelte den Kopf. Wollte sie damit sagen, daß sie Gabby nicht kannte, oder daß sie mir keine Antwort geben wollte?
»Sie ist Ethnologin und hat hier gearbeitet.«
»Wir alle arbeiten hier, Süße.«
Poirette schnaubte belustigt und verlagerte ihr Gewicht auf den anderen Fuß. Sie trug knappe Shorts und ein Bustier aus glänzendem, schwarzem Vinyl. Von ihr wußte ich, daß sie Gabby kannte, denn Gabby hatte sie mir aus dem Auto heraus gezeigt. Jetzt kam sie mir sogar noch jünger vor als damals. Ich wandte mich wieder an ihre Kollegin.
»Gabby ist eine große Frau«, fuhr ich fort. »Etwa so alt wie ich. Sie hat…«, ich überlegte mir, wie ich Gabbys Haarfarbe beschreiben sollte, »… rötliche Locken.«
Die Frau starrte mich gleichgültig an.
»Und einen Nasenring.«
Ich hätte genauso gut an eine Mauer hinreden können.
»Ich versuche schon eine ganze Weile, sie zu erreichen. Sieht so aus, als wäre was mit ihrem Telefon nicht in Ordnung, und irgendwie mache ich mir ein bißchen Sorgen um sie. Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht sagen, wo sie ist.«
Ich dehnte die Vokale und bemühte mich, mein Französisch möglichst südlich gefärbt klingen zu lassen. Vielleicht hatte ich ja mit der »Wir-Südstaatlerinnen-müssen-zusammenhalten«-Masche Erfolg bei ihr.
Die Nutte aus Louisiana antwortete mit einem Achselzucken, das eine etwas mattere Cajun-Variante der hier üblichen französischen Version war. Mehr aus der Schulter heraus und nicht so sehr mit den Armen.
Soviel zum Thema »Wir Südstaatlerinnen…« Das hier führte zu nichts. Langsam begriff ich, was Gabby meinte. In der Main stellt man besser keine Fragen.
»Wenn Sie ihr zufällig über den Weg laufen sollten, dann sagen Sie ihr doch bitte, daß Tempe sie gesucht hat.«
»Ist das ein Name aus dem Süden, chère?«
Sie fuhr sich mit einem ihrer langen, roten Fingernägel in die Haare und kratzte an ihrer Kopfhaut herum. Ihre Frisur war so mit Haarspray zugekleistert, daß sie auch einem Hurrikan standgehalten hätte. Beim Kratzen bewegte sich die ganze Pracht in einem Stück, was aussah, als würde ihr gesamter Kopf seine Form verändern.
»Nicht ganz. Können Sie mir vielleicht sagen, wo ich sonst noch nach meiner Freundin suchen könnte?«
Wieder ein Achselzucken. Sie zog den Fingernagel aus der Frisur und begutachtete seine Spitze.
Ich zog eine meiner Visitenkarten aus der hinteren Hosentasche.
»Wenn Ihnen noch etwas einfällt, können Sie mich unter dieser Nummer erreichen.« Im Fortgehen sah ich noch, wie Poirette die Karte las.
Ich befragte noch ein paar andere Nutten auf der Rue Ste. Catherine, aber das Ergebnis war bei allen ähnlich. Die Reaktionen der Frauen pendelten zwischen Gleichgültigkeit und Verachtung, und alle begegneten mir mit tiefem Mißtrauen. Informationen erhielt ich keine. Wenn sich eine von ihnen überhaupt an Gabby erinnerte, dann sagte sie es mir nicht.
Einen nach dem anderen klapperte ich die schäbigen Nachtklubs der Main ab, die mir allesamt so vorkamen, als hätte derselbe, durchgeknallte Innenarchitekt sie entworfen. Wenn sie kein Wandgemälde in grellbunten Leuchtfarben aufwiesen, dann waren sie mit künstlichem Bambus oder billigstem Holz ausgekleidet. Einer wie der andere waren sie düster und dampfig und rochen nach einer Mischung aus schalem Bier, Rauch und menschlichen Ausdünstungen. Nur in den besseren Etablissements waren die Fußböden trocken.
In einigen dieser Nachtklubs gab es erhöhte Plattformen, auf denen
Weitere Kostenlose Bücher