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Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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konnte eine kleine Ader an seiner Stirn pulsieren sehen. Ryan sah mich tadelnd an. Okay, vielleicht sollte ich solche Sticheleien in Zukunft besser bleiben lassen.
    Ohne ein weiteres Wort gingen wir den Pfad entlang. In weniger als einer Minute entdeckten wir Margot und DeSalvo links von uns im Gestrüpp. Margots Körper war gespannt wie eine Violinensaite. Ihre Schultermuskulatur zeichnete sich deutlich unter dem Fell ab, als sie sich mit voller Kraft ins Geschirr stemmte. Dabei schnüffelte sie mit hocherhobenem Kopf und bebenden Nüstern in sämtliche Richtungen.
    Auf einmal blieb sie mit aufgestellten Ohren wie angewurzelt stehen. Aus der Tiefe ihres Brustkorbs war ein zunächst leises, dann immer stärker anwachsendes Geräusch zu hören. Es war eine Mischung aus Knurren und Heulen, die mich ein wenig an das Jammern von Klageweibern erinnerte. Als es immer lauter wurde, spürte ich, wie sich mir die Nackenhaare sträubten und ein eiskalter Schauder meinen Körper durchfuhr.
    DeSalvo machte die Leine los. Einen Augenblick lang blieb Margot noch stehen, als müsse sie ihre Position bestimmen und ihren Kurs abstecken. Dann rannte sie los.
    »Was soll das?« rief Claudel.
    »Wo will denn die hin?« fragte Ryan.
    »Verdammt noch mal!« meinte Charbonneau.
    Wir alle hatten erwartet, daß Margot zum Fundort des Leichensacks laufen würde. Statt dessen überquerte sie den Pfad und rannte zwischen die Bäume. Wir sahen ihr schweigend zu.
    Zwei Meter tief im Unterholz blieb sie plötzlich stehen, senkte die Schnauze und holte mehrmals tief Luft. Dann atmete sie scharf aus und wiederholte den Vorgang. Als ich sie betrachtete, kamen mir Bilder der vergangenen Nacht ins Gedächtnis zurück. Bilder von einer Flucht durch die Dunkelheit. Von einem Blitz. Und einer leeren Grube.
    Meine Aufmerksamkeit wandte sich wieder Margot zu. Sie stand am Fuß einer Kiefer und schien sich mit allen Sinnen auf einen Fleck Erde vor ihr zu konzentrieren. Sie senkte die Schnauze und atmete schwer. Dann sträubte sie auf einmal wie von einem raubtierhaften Instinkt getrieben das Rückenfell. Mit zitternden Muskeln hob sie die Schnauze hoch in die Luft, atmete noch einmal heftig aus und fing an, sich wie wild zu gebärden. Sie sprang vor und zurück, zog den Schwanz ein und knurrte den Boden vor ihren Pfoten an.
    »Margot! Ici !« befahl DeSalvo. Er eilte durchs Unterholz und zerrte den Hund an seinem Geschirr von der Stelle fort.
    Ich mußte gar nicht hinsehen, um zu wissen, was Margot gefunden hatte. Ich erinnerte mich jetzt genau daran, wie ich in der Nacht zuvor in ein leeres Loch gestarrt hatte. Ein Loch, von dem ich nicht gewußt hatte, wozu es diente. Jetzt wußte ich, daß dort etwas ausgegraben worden war.
    Margot japste und knurrte noch immer am Rand der Grube, in die ich in der vergangenen Nacht gefallen war. Das Loch war leer, und das, worauf Margots empfindliche Nase angesprochen hatte, war nicht mehr da.

18
    Am Strand. Schäumende Brandung. Sandschnepfen, die auf spindeldürren Beinen herumrennen, Pelikane, die wie Papierflieger über die Wogen gleiten und dann die Flügel anlegen und sich kerzengerade in die Fluten stürzen. In Gedanken war ich in Carolina und atmete die modrige Luft des Marschlandes, vermischt mit einer salzigen Seebrise. Ich roch den feuchten Sand, die angeschwemmten Fische und das in der Sonne trocknende Seegras. Nördlich von mir sah ich Hatteras, Ocracoke und Bald Head, im Süden Pawley’s, Sullivan’s und Kiawah Island. Ich wollte nach Hause, auf welche Insel genau war mir egal. Ich wollte bloß mal wieder Fächerpalmen und Krabbenkutter sehen und nicht die Knochen von zerstückelten Frauen.
    Ich öffnete die Augen und sah die Tauben auf dem Denkmal von Norman Bethune. Der Himmel wurde langsam dunkel, und die letzten Reste eines gelbrosa Sonnenuntergangs zogen sich vor der heraufdämmernden Nacht zurück, als deren erste Vorboten Straßenlaternen und Neonreklamen angeschaltet wurden. Rechts und links von mir strömten Autos vorbei wie eine motorisierte Viehherde, die sich vor dem kleinen Dreieck der Grünanlage zwischen der Rue Guy und dem Boulevard de Maisonneuve nur widerwillig zu teilen schien.
    Neben mir auf der Bank saß ein Mann in einer Jacke der Canadiens. Er hatte schulterlanges Haar, von dem man nicht sagen konnte, ob es blond oder weiß war. Im Licht der hinter ihm vorbeifahrenden Autos leuchtete es wie ein Heiligenschein. Die Augen des Mannes, die eine Farbe wie tausendmal gewaschener

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