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Tote Mädchen

Tote Mädchen

Titel: Tote Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Calder
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bekommen neue, ja?« Der Kellner, der einen Operationskittel, Gummihandschuhe und Mundschutz trug, sorgte dafür, dass eine frische Gynoide ihre kataleptische Schwester ablöste. Ihre Programmierung simulierte die obligatorische Ängstlichkeit. Auf allen vieren, die Hände angekettet, die Stahlnadel auf die rituelle Stelle genau zwischen Schamhügel und Bauchnabel gerichtet, blieb der verurteilten Puppe nichts anderes übrig, als erwartungsvoll zu zittern, bis der Kellner sie an den Füßen packte und daran zog ... Die Geschäftsleute, die Augen in unterschiedlichen Stadien voyeuristischer Erleuchtung zusammengekniffen, klatschten und pfiffen in trunkener Schadenfreude.
    Gott , hat Einstein einmal gesagt, würfelt nicht ; Primavera dagegen schon. Ihre grünen Augen wurden größer, strahlender, während sie sich auf etwas jenseits der Wände des Restaurants konzentrierten, jenseits des Big Weird, jenseits der Welt. Einen Moment lang hielt das Universum den Atem an, und die Realität existierte nur noch in diesen Augen, hinter denen sich grenzenlose Möglichkeiten verbargen. Für Primavera war das Universum ein abgekartetes Spiel. Wenn die Würfel fielen, richteten sie sich nach ihrem Willen.
    Gläser explodierten, Singha-Bier und geborstenes Glas regneten auf die Japaner herab. Kellner tupften ängstlich besudelte Anzüge ab und zupften Splitter aus mit Bier durchtränktem Haar. Das Feuer in Primaveras Augen erlosch, zurück blieb eine schwelende Glut. Newton und Einstein regten sich unruhig in ihren Gräbern.
    »Mitten durch ihr Uhrwerk, Iggy. Mitten durch ihre Matrix! Darüber hätten sie nicht lachen dürfen.«
    Der Bauch einer Puppe (sagen die Lilim) ist heilig; er ist die Wiege der Ungewissheit; der Quell der Unvernunft; der quantenmechanische Sitz des Bewusstseins.
    »Manchmal«, sagte Primavera, »manchmal sind mir Jungs zuwider.«
    »Tja, morgen Abend werden sie sich wohl mit der Soi Ginza zufriedengeben. Jetzt aber Schluss mit den Spielchen ‒ er ist gerade hereingekommen.« Ein hochgewachsener Farang in einem maßgeschneiderten Anzug wurde an einen Tisch ganz vorne geführt.
    »Ist das der Junge, den ich töten darf? Solche mag ich ganz besonders.«
    »Antoine Sabatier. Ein Pariser Modeflittchen. Er ist sauer auf Kito, weil sie seine Designs geklaut hat. Er hat bei der ASEAN Klage gegen sie eingereicht.«
    »Soll ich es hier tun?«
    »Wenn es dir nichts ausmacht, dein neues Kleid mit Blut zu besudeln?«
    »Meine Tischmanieren sind tadellos. Aber kann ein Mädchen nicht einmal mehr in Ruhe zu Abend essen?«
    »Ich suche uns später einen netten Imbiss.«
    »Aber Iggy, du hast das Töten doch so satt, schon vergessen?«
    Ich klopfte ganz leicht mit einem Löffel gegen ein Glas, damit das Herumgekaspere endlich aufhörte. »Wir müssen nur warten, bis der maître de ... Da. Er wird ans Telefon gerufen. In ein Hinterzimmer. Genau wie Mr. Jinx gesagt hat. Komm, los ... okay, er geht hinaus.«
    Primavera ließ ihre blondierte Mähne fliegen ‒ sie war bereits aufgestanden. Hastig nahm sie einen Spiegel aus ihrer Handtasche und zog ihren Lippenstift nach. Dann tupfte sie sich ein wenig von ihrem Lieblingsparfum Virgin Martyr hinter die Ohren.
    »Für dich, Titania, reizende Königin der Puppen«, flüsterte sie und berührte die Brosche an ihrer linken Brust ‒ ein Pentagramm aus Smaragden, das Symbol wiedergewonnenen Stolzes und vielleicht das Einzige, was sie besaß, an dem sie wirklich hing. Ich schaute ihr nach und verfolgte, wie sich die beiden vertikalen Strumpfnähte an ihren Waden wie die exotischen Zeichnungen eines seltenen und tödlichen Reptils zwischen den Tischen und Stühlen hindurchschlängelten. Die Türen, die zur Küche und zu den Toiletten führten, schlossen sich hinter ihr. Bon appétit , kleine Hexe, dachte ich bei mir.
    Ein philippinisches Quartett hatte eine Coverversion von »Oh doctor, doctor, I wish you wouldn’t do that« angestimmt, dem neusten Hit der englischen Zygodiddly-Band Imps of the Perverse . Die Kellner hatten ihren Mundschutz hochgezogen und waren in die Rollen verrückter Gynäkologen geschlüpft. Sie führten zwischen den Tischen unsägliche Pantomimen auf. Ich versteckte mich hinter der Speisekarte ‒ Fish ’n’ Chips , Pie ’n’ Eel , Steak ’n’ Kidney Pudding (Blei hat die Römer in den Wahnsinn getrieben) ‒ und setzte den Kopfhörer auf, der an meinem Stuhl hing. »... die wundervollen sorglosen Tage der Aube du millénaire waren vorbei: England machte

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