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Tote Mädchen

Tote Mädchen

Titel: Tote Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Calder
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auf die Uhr. Primavera war jetzt zehn Minuten fort. Das war lange für sie. Nach wochenlanger Abstinenz würde sie ihren Freier in aller Ruhe abmurksen. Mit ihm spielen. Das Flittchen bis auf den letzten Tropfen aussaugen. Ich beschloss, den Störenfried bei Laune zu halten; irgendwie musste ich mich von meiner Eifersucht ablenken.
    »Er ist äußerst sparsam«, sagte ich.
    »Verzeihung?«
    »Der Inhaber: Er achtet darauf, für seine Gynoiden nicht zu viel Geld auszugeben. Diese Mädchen gehören zu einer ganzen Charge von Gigoletten aus zweiter Hand ‒ sie stammen aus den Diskotheken des Big Weird. Seiko-Imitationen, würde ich sagen. Sie sind hergerichtet worden, damit sie wie Lilim aussehen, aber man kann die Münzeinwurfschlitze zwischen ihren Brüsten sehen.«
    »Ja, das stimmt.«
    »Zehn Baht pro Boogie«, sagte ich. »Das waren noch glückliche Zeiten.«
    »Hören Sie, es tut mir leid, dass ich Sie belästigt habe, Mr. ...« Ich ging nicht darauf ein. »Ich darf Ihnen doch noch einen Drink spendieren, bevor ich gehe.« Er rief nach einem Kellner. »Junge, Junge, das wäre wirklich toll, wenn Sie Engländer wären. Immerhin sind es jetzt fünf Jahre, seit mein Land wieder diplomatische Beziehungen aufgenommen hat. Vielleicht kann ich der Insel ja irgendwann mal einen Besuch abstatten!« Zwei Biere wurden serviert. »Jack Morgenstern«, sagte er und streckte die Hand aus, während er mit der anderen ordentlich Trinkgeld gab. »Prost! Hoffen wir, dass es mit diesem traurigen kleinen Land unter der Reinheitsfront wieder etwas aufwärtsgeht.«
    Ich trank einen Schluck Bier. »Die Führer der Reinheitsfront«, sagte ich, »sind Abschaum.« Morgenstern strich nervös an seinem Glas auf und ab.
    »Glauben Sie mir«, sagte er, »ich bin kein Fan von denen. Wer zu so was fähig ist ...« Er deutete auf den Blutzirkus und seine artistes . »Aber Sie müssen zugeben, dass diese Typen immerhin wieder so etwas wie Ordnung hergestellt haben. Weiß Gott, wenn diese Lilim jemals entwischen ‒ und manche sagen, dass das längst passiert ist, dass sie auf dem europäischen Festland gesehen wurden ‒ wenn da irgendjemand entwischt und die Puppenplage verbreitet ...«
    »Dann ist es ja nur gut, dass ich kein Engländer bin.«
    »Himmel, nicht jeder ist infiziert! Ich bin da nicht voreingenommen. Nur die Londoner haben den Virus, und London ist abgeriegelt. Unter Quarantäne gestellt. Wirklich traurig, dass die Engländer die Sache nicht so gut in den Griff bekommen haben wie die Franzosen vor Jahren, als die Seuche zum ersten Mal ausgebrochen ist. Jedenfalls, aus London kommt niemand raus.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja klar! Aber mein Kumpel, der Kellner, hat mir gesagt, in Südostasien gäbe es jede Menge saubere Engländer ...«
    Meinte er das ironisch, oder war er einfach nur naiv? Die Engländer, die in Thailand Zuflucht gesucht hatten, verfügten notgedrungen über gefälschte Papiere; und obwohl die Regierung Ihrer Majestät das Gegenteil behauptete, war es ein offenes Geheimnis, dass die Seuche den Londoner cordon sanitaire längst durchbrochen hatte. Aus diesem Club exklusiver Exilanten waren wiederum Primavera und ich verbannt worden. Uns hatten die Deutschmark gefehlt, um die zuständigen Beamten in diesem bestechungsfreundlichsten aller Länder zu schmieren. Außerdem schlossen die Clubregeln nichtmenschliche Flüchtlinge aus. Wir waren ganz auf die bittere Barmherzigkeit von Madame K angewiesen.
    »Warum interessieren Sie sich überhaupt für die Lilim?«, versuchte ich zu fragen. Ich wollte wissen, warum Morgenstern den arglosen Amerikaner im Ausland spielte. Aber meine Lippen hatten sich nicht bewegt. Sie waren so taub, als hätte ich an einem Kokain-Lolli gelutscht! Wie viele Biere hatte ich getrunken? Mein Kopf hielt einiges aus, aber der Raum begann sich zu drehen, und Jack Morgensterns Stimme war so leise, als würde er mich vom Mars aus anfunken.
    »Immerhin ist es möglich, dass Sie Engländer sind! Theoretisch, meine ich ...« Ich stocherte mit einem Finger im Ohr ‒ in meinem Schädel summte ein Insekt herum. »Sie könnten zum Beispiel aus Madchester stammen. So nennen doch jetzt alle die Hauptstadt, oder?« Meine Haut war schweißbedeckt und so kalt wie das Kondenswasser an meinem Bierglas. »Das wäre wirklich der Hammer«, sagte er, »wenn Sie aus London kämen.«
    Ich stand auf. Mir war speiübel. Wo war die Toilette? Und Primavera, wo warst du? Wo warst du, wenn ich dich brauchte? Wenn Mom mich ins

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