Tote Männer Milch (German Edition)
Ächzen emporgerungen. Alarmiert lugte Isolde durchs Gestrüpp. Wer weiß, dachte sie. Vielleicht war dieser schlüpfrige Akt bereits die Einleitung oder gar das erste Kapitel einer neuen Geschichte. Isolde schlug das Kreuz, erst die Stirn, dann die Brust, dann die rechte, dann die linke Schulter. Sich bekreuzigen, das tat sie sonst nie…
Die nackte Frau hatte mittlerweile einen Stellungswechsel
in eine Position vorgenommen, die Isolde auf Anhieb an eine rossige Stute erinnerte. Ob dieses Weibsbild das aus eigenem Antrieb tat? Oder stand sie unter der Führung ihres Rittmeisters? Isolde hatte es nicht mitbekommen. Auf alle Fälle hatte die Ahnungslose das Gesicht nun ihrer heimlichen Beobachterin zugewandt. Sich mit beiden Händen am Beckenrand festgeklammert und ihr Hinterteil ihrem von Lüsternheit geilen Galan entgegengestreckt. Auch er befand sich nun in der Zielgeraden, auf Blickhöhe zu Isolde. Isolde wäre es lieber gewesen, wenn sich die beiden Nackten von der seitlichen Perspektive präsentiert hätten. Nicht, weil sie der Anatomie des männlichen Geschlechts besonderes Interesse beimaß. Keineswegs. Aber dann bestünde weniger Gefahr für sie, mit einem der beiden Augenpaare zu kollidieren. Dankenswerterweise waren die beiden Akteure voll und ganz in ihrem Liebesspiel vertieft. Während der Mann immer wieder sein Augenmerk auf das Hinterteil der Frau richtete, mit seiner Hand drauf schlug und mit gierigem Interesse das rhythmische Stoßen seines Ständers verfolgte, warf die Nackte ekstatisch ihren Kopf in den Nacken und griff sich fiebrig erregt, mit der einen Hand zwischen die Beine. Die Frau wirkte herausfordernd, bestimmte die Geschwindigkeit der Bewegungen und feuerte ihren Partner mit kommandoähnlichen Zurufen an. Isolde spitze die Ohren, verstand aber nichts von all dem, was die Frau sagte – oder besser: befahl. Das herannahende Donnergrollen übertönte ihre Worte. Abschätzend starrte Isolde in den Himmel, wo von Osten her eine schwarze Wolkenmauer heranrückte. Was die beiden aufeinander Herumreitenden aber nicht zur Kenntnis nahmen. Unbeirrt rangen sie sich dem Gipfel ihrer Fleischeslust empor, als könne sie keine Naturgewalt von diesem Ziel abhalten. Jedenfalls keine himmlische Naturgewalt. Isolde hatte Angst vor Gewitter. Immer wieder zuckte sie ängstlich zusammen, da es inzwischen nicht nur markerschütternd laut donnerte, sondern von fast allen Himmelsrichtungen her zu blitzen begann. Ein Unwetter, das drohte zu einem lebensgefährlichen Hexenkessel hochzukochen. Trotzdem konnte sie sich nicht von dem bizarren Schauspiel lösen. Sie war fasziniert. Geradezu überwältigt, mit welch furchtloser Hingabe die Liebe ihren Gesetzmäßigkeiten folgte. Wie sich Natur und Leidenschaft aufwiegelten. Miteinander! Gegeneinander? Isolde war geduldig. Gebannt sah sie ihnen zu, wie sie keuchten, sich abhetzten, zuckten. Wie ihre Körper dem Regen trotzten, der sintflutartig auf sie herabprasselte. Wie der Donner sie anbrüllte. Ihre animalischen Laute mit Heißhunger verschlang und sich ihre glitschigen Leiber im Blitzlicht aufbäumten. Bis sie sekundenlang wie ein Standbild, in ihrer Bewegung verharrten. Mit klappernden Zähnen fieberte Isolde mit. Stieß versehentlich selbst einen spitzen Schrei hervor und wartete ab, dass noch irgendetwas geschah. Etwas Dramatisches. Ein Finale. Ein Inferno. Aber sie wurde enttäuscht. Die beiden Nackten wurden nicht vom Blitz getroffen. Sie lösten sich aus ihrer Erstarrung. Rappelten sich auf und eilten mit tapsigen Schritten auf die Terrassentür zu, die zum Wohnzimmer des großen Hauses führte. Isolde sah, wie sich der Raum erleuchtete, konnte schemenhaft einen Klavierflügel und einen Kamin erkennen sowie eine geschwungene Treppe, die in die obere Etage führte. Völlig durchnässt raffte sich nun auch Isolde auf und trat mit butterweichen Knien den Rückzug an. Sie lief wie in Trance über ihre Beete, durch die aufgeweichte Erde. Blieb an Sträuchern hängen, bis sie die Hintertür ihres Hauses erreichte. Sie stolperte die kleine Kellertreppe hinauf, die in die Diele führte. Strich sich ihre schlammigen Sandalen ab und stellte sie sorgfältig in den Schuhschrank hinein. Mit nassen Füßen patschte Isolde die Stufen zum Schlafzimmer hinauf. Setzte sich, ohne das Licht anzuknipsen, aufs Bett und blickte apathisch auf die Spiegel des Kleiderschranks, der ihr direkt gegenüber stand. Sie vermisste ihr Spiegelbild. Sie wartete. Überlegte. Bis sie dahinter
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