Toten-Welt (German Edition)
Dunkelheit. Die Tür war zugefallen und ließ sich nicht öffnen.
Das konnte wohl nur ein Irrtum sein! Amelie drehte am Knauf, rüttelte daran und hämmerte endlich, von erster leiser Panik getrieben, gegen das uralte Holz der Tür.
„Hallo? Haaallooo!! Die Tür geht nicht auf! Herr Bergenstroh?“
Sie konnte sich nicht vorstellen, wie ein fast völlig gelähmter Mann, der schon nicht mehr die Kraft hatte, seinen Mund sauber zu wischen, die schwere, eisenbeschlagene Tür aufbekommen sollte. Aber Frau Ferkel war wohl in ihr Büro gerannt und außer Hörweite. Oder das war Absicht - Scherz oder Bosheit – und sie stand auf der anderen Seite der Tür und amüsierte sich köstlich. Amelie dachte an die blöden Gags unten am Plumpsklo und hielt es für möglich.
Sie beschloss, sich keine Blöße zu geben, und hörte auf zu rufen und zu klopfen. Still verharrte sie an der Tür und lauschte.
Nicht das kleinste Geräusch. Was war das überhaupt für ein Raum auf der anderen Seite, was war seine Funktion? Was hatte Bergenstroh in aller Frühe dort verloren gehabt? Amelie bereute durch und durch, den Job angenommen zu haben. So dringend konnte man gar nicht auf Geld angewiesen sein, um etwas wie das hier auf sich zu nehmen. Das waren doch Irre! Sie rechnete zwar nicht damit, in Gefahr zu sein, aber die Spanne für einen Scherz und dessen Auflösung war längst verstrichen, und Amelies dringendes Bedürfnis schob sich in den Vordergrund.
„Verdammt, ihr kriegt mich nicht dazu, mich hier auf diesen Präsentierteller zu setzen!“
Sie hatte unten, an der Burgmauer, durch das kreisrunde Loch einen Weg verlaufen sehen. Konnten Spaziergänger da entlang kommen, im Zwinger – auf Privatgelände? Wohl kaum. Trotzdem, das würde sie auf keinen Fall...
„Hallo! Ich muss dringend hier raus! Herr Bergenstroh?“
Nichts. Sie wollte halblaut fluchen: So ein Mist!
Da hörte sie etwas. Sie lauschte, hörte es wieder. Und begriff. Das war nicht draußen. Das war drin. Hier drin bei ihr. Schräg unter ihr, wo jetzt ein geduckter Schatten sich in ihr Blickfeld schob.
„Ja Mieze, wo kommst du den her?!“
Amelie ging in die Hocke, um die Katze zu streicheln. Mit einem Fauchen krümmte der schwarzgraue Mischling den Rücken und sprang die Treppen hinab.
Die Hocke hatte Amelies Bedürfnis kurz unterdrückt. Beim Aufrichten kam es um so dringlicher zurück. Zum Glück habe ich noch eines der Papiertaschentücher einstecken, dachte sie und resignierte.
Stein und altes Holz fühlten sich an wie eisiges Reibeisen auf der Haut, und durch das Loch fuhr ein kalter Wind nach oben. Da sie mit möglicher Aufmerksamkeit von unten rechnete und sie fürchtete, traf es sie wie ein Schock, als sie halb aufsah und zwei Augen aus der Dunkelheit ihr mitten ins Gesicht starrten. Die Katze hockte direkt vor ihr und glotzte sie an als wisse sie genau, was da gerade vor sich ging. Sie sah aus wie die Miniaturausgabe eines Löwen. Vielleicht eine Kreuzung aus Hauskatze und Siamkatze, bei der sich die Anlagen für lange Haare ausschließlich um Nacken und Kopf herum ausgeprägt hatten.
„Schau weg!“
Die Katze maunzte leise und fing an zu blinzeln.
„Oder zeig mir einen Weg hier raus.“
„Miau!“
„Dann eben nicht. Mein Handy hab ich natürlich im Turm liegen lassen. Aber wer rechnet auch mit so was.“
Mit einem letzten „Miau!“, das klang wie verständnisvolle Zustimmung, drehte sich die Katze um die eigene Achse und huschte davon. Gleich darauf hörte es sich an als sei eine schwere Tür einen Spalt aufgedrückt worden.
Amelie beeilte sich, ihren zugluftgekühlten Hintern zu verpacken. Sie tastete sich an der Mauer entlang dorthin, wo die Katze verschwunden war, fand die erwartete Tür und dahinter eine weitere kurze Treppe und einen Gang. Schießscharten ließen gerade so viel Licht herein, dass Amelie laufen konnte, ohne sich vorwärts tasten zu müssen.
Um so mehr erschrak sie, als sie auf etwas trat, das knirschend zerbrach – und dadurch im letzten Moment gestoppt wurde, bevor sie gegen eine Wand rannte. Weder das brüchige Hindernis am Boden noch das Ende des Ganges hatte sie kommen sehen.
Amelie bückte sich. Sie spürte eine Gänsehaut, denn irgendwie vermutete sie, auf die Katze getreten zu sein, was unmöglich war, da es sich nicht weich und nachgiebig angefühlt hatte, sondern hart und zerbrechlich, starr und tot.
Aber es war die Katze. Es war die Mumie einer Katze. Amelie sah einen grauen, dürren, vertrockneten
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